Der schmale Grad zwischen Nutzerfreundlichkeit und Funktionalität

Apple Lisa

Die erste grafische Benutzeroberfläche für Personal Computer bzw. Workstations wird dem Xerox Alto zugeschrieben. Welches Unternehmen nun den allerersten kommerziellen Computer mit GUI entwickelte und vertrieb, ist für mich dagegen etwas unklar. Zum einen wird hier der PERQ genannt, welcher 1979 von dem Unternehmen Three Rivera Computer Corporation veröffentlicht wurde und sich sehr am Xerox Alto orientiert. Das Jahr der Veröffentlichung spricht eindeutig dafür. Zum anderen bin ich bisher häufig über den Xerox Star gestolpert, welcher als eine verbesserte Version des Xerox Alto gilt und erst im Jahr 1981 auf den Markt kam. Scheinbar gehörte er jedoch zu den damals eher unbekannten Workstations. Weiter zählt der 1983 veröffentlichte Apple Lisa zu den ersten kommerziellen Computern, der eine grafische Benutzeroberfläche beinhaltete, die zudem – wie beim Xerox Star – über eine Maus bedienbar war. Er gilt wohl als zunächst bekannteste und revolutionärste Erfindung in dieser Reihe.

Unabhängig davon, ob nun Windows, Mac oder Linux sieht Carrie Anne Philbin jedoch eins: dass fast immer eine evolvierte Version des WIMP Interfaces verwendet wird, welches mit dem Xerox Alto eingeführt wurde.1

Der Apple Lisa

Der Entwicklung des Apple Lisas ging 1979 ein entscheidender Besuch von Steve Jobs und seinem Team bei Xerox voraus.2 Während Adele Goldberg, Gründerin von ParcPlace Systems, zu diesem Zeitpunkt bereits klar war, dass Xerox mit einer Präsentation des Altos das Tafelsilber des Unternehmens verschenkte, bestanden die Manager auf diese Vorführung.3 Das Problem war, dass die Forscher in Palo Alto zwar dazu angehalten wurden, neue Ideen für die Zukunft zu entwickeln.4 Auf der anderen Seite verstand die Führung in New York, welche grundsätzlich auf die Entwicklung von Druckern aus war, jedoch nicht die Visionen, die dort entstanden.5 Umso begeisterter war Larry Tesler, früher Forscher bei Xerox PARC, dass Steve Jobs und sein Team innerhalb einer Stunde mehr verstanden als die Manager über Jahre nicht.6 Auch Jobs sah, dass das Unternehmen keine Ahnung hatte, was mit Computern alles möglich ist und glaubt daran, Xerox den Sieg vor den Füßen weggeschnappt zu haben. Aus seiner Sicht könnte das Unternehmen die Computerindustrie beherrschen und das IBM oder Microsoft der 90er Jahre sein.7

Dem Apple-Mitgründer wurden bei dieser Demo drei Dinge gezeigt, von denen eine Sache besonders hervorstach. Neben der objektorientierten Programmierung und dem Netzwerk-Computersystem war vor allem die grafische Benutzeroberfläche interessant für ihn. Laut ihm war es das bis dahin beste, was er in seinem Leben gesehen hatte und trotz der kleinen Fehler, die er erkannte, wusste er innerhalb von zehn Minuten, dass in Zukunft alle Computer so arbeiten würden.8 Die Besucher sahen einen Computer, der dafür gestaltet wurde, einfach bedient zu werden und den jeder verwenden konnte.9

Auf dieser Grundlage ging Jobs und sein Team zurück zu Apple und entwickelte Lisa.10 Dabei wurde das System nicht einfach nachgestellt, sondern um viele Funktionen erweitert. So gab es beim Xerox Alto beispielsweise keine Menüs, sondern Pop-up-Fenster. Zudem konnten Fenster mit einem Doppelklick geöffnet werden und sich erstmals überlappen. Weiter soll er über eine vollständige Schreibtisch-Metapher verfügt haben, so dass es nun Features wie den Papierkorb gab. Auch Befehle wie Apfel-S wurde mit dem von Apple eingeführten »Macintosh Human Interface Guide« eingeführt.11

Screenshot Apple Lisa
Screenshot des Apple Lisa Betriebssystems

In einer Demo wird diese neue Technologie vorgestellt. Dabei wird gezeigt, dass Lisa einen Desktop simuliert, auf dem frei platzierbare Icons zu finden sind.12 Neben der Vorstellung von gewöhnlichen Schreibtisch-Tools wie einer Uhr oder einem Kalkulator,13 werden Programme zur Textverarbeitung oder Gestaltung demonstriert. Wenn man bedenkt, dass der Einzug von Computer für den privaten Gebrauch erst Ende der 70er Jahre so wirklich begann, sind Werkzeuge zur Text- oder Grafikbearbeitung als revolutionär einzustufen.

Später wurde zwar häufig behauptet, dass Steve Jobs die Ideen von Xerox geklaut hätte, aber unter dem Strich gab es einen Deal: Xerox konnte vor dem Börsengang Apples günstige Aktien-Anteile kaufen, welche sich später vervielfachten.14

Insgesamt zählt Apple Lisa zwar als sehr fortschrittlich, war aber für den normalen Privatgebrauch zu teuer. Heute läge der Preis immerhin bei 25.000 Dollar, was in der heutigen Welt voller günstiger Bauteile unvorstellbar wäre. Somit war er ähnlich wie der Xerox Star ein Flop und Apple bastelte an einem Nachfolger, dem Macintosh. Er wurde 1984 präsentiert und war mit – nach heutigen Verhältnissen – 6.000 Dollar vergleichsweise günstig.15

Der Macintosh

Bei der Produktpräsentation definiert Steve Jobs zwei Meilenstein-Produkte in der damaligen Computerindustrie. Dazu gehörte der Apple II aus dem Jahr 1977, sowie der IBM Personal Computer von 1981. Den Macintosh sah er als dritten Meilenstein in dieser Reihe. In der auf dem Macintosh-Bildschirm gezeigten Präsentation, werden verschiedene Features wie die Veränderung von Schriftgrößen, -stilen und arten gezeigt. Die Schrift konnte deformiert werden, Bildbearbeitung wurde ermöglicht und auch die Tabellenkalkulation erhält einen Platz in dieser Demonstration.16 Manche Funktionen sind zwar bereits im Lisa zu finden, der Macintosh versprach jedoch der weit verbreitete Computer für den heimischen Gebrauch zu werden.

Innerhalb eines Textes, welcher von einer Computerstimme vorgelesen wurde, gibt es zudem eine Spitze gegen den IBM-Computer, welcher als Konkurrent des Lisas zählte. Dort heißt es »Ich würde gerne eine Maxime mit dir teilen, welche ich erkannte, als ich zum ersten Mal ein IBM-Großrechner sah: TRAU NIE EINEM COMPUTER, DEN DU NICHT HOCHHEBEN KANNST!«17.

Kampf um die Marktmacht

Obwohl Steve Jobs in seiner Erfindung einen revolutionären Fortschritt sah, stürzten die Verkäufe schnell ein. Selbst Werbekampagnen, in denen IBM als beherrschender Tyrann ganz nach George Orwell dargestellt wurde oder in denen gezeigt wurde, wie einfach der Macintosh im Gegensatz zum IBM-Rechner bedient werden kann, brachten nichts.18

Auch wenn die grafische Oberfläche und die generelle Bedienbarkeit tatsächlich fortschrittlich waren, konnte der Rechner nicht mit dem deutlich günstigeren IBM-Rechnern mithalten.19 Ein weiteres Problem war der Umgang mit dem eigenen System, den Apple bis heute beibehalten hat. Für die geschlossene Architektur gab es kaum Software. IBM hat sich dagegen deutlich offener positioniert, so dass fremde Produkte oder nicht-IBM-Computer mit dem Label »IBM-kompatibel« versehen werden konnten.20 Das hatte zur Folge, dass die Computer von Apples Konkurrenz zwar nicht so intuitiv zu bedienen waren, die Menschen aber auf einen viel größeren Markt an kompatibler Hard- und Software zugreifen konnten.

Im Bezug auf die grafische Oberfläche konnte man bei Microsoft Windows erst mit der Einführung von Windows 3.0., beziehungsweise noch eher mit der von Windows 95, wirklich von einem verbesserten und konsumerorientierten GUI sprechen. Mit Windows 95 wurden Elemente wie die Taskbar, der Datei-Manager Windows Explorer oder das Start-Menü eingeführt. Zudem wurde mit dem Projekt Microsoft Bob ein kompletter Raum mit Regalen, Tisch und Türen zu weiteren Räumen als Metapher geschaffen. Dieses Konzept war jedoch nicht erfolgreich.21

Um den Macintosh zu retten, benötigte es die »Killer-Anwendung«, welche bereits auf IBM-Rechnern zu finden waren. Ein großer Fortschritt war dabei die Einbindung von Adobe, dessen Gründer John Warnock und Charles Geschke zuvor bei Xerox arbeiteten. Deren Entwicklung der Druckersprache Interpress fand dort keinen Anklang, was in die Gründung von Adobe und der bis heute verbreiteten Druckersprache PostScript mündete. Damit war es möglich »WYSIWYG« ernsthaft zu verwirklichen: Mit Laserdruckern konnte genau das gedruckt werden, was auf dem Bildschirm zu sehen war.22 Dieser Fortschritt präziser Ausdrucke, gekoppelt an ein System mit nutzerfreundlicher Oberfläche, mündete in eine völlig neue Branche: dem Desktop-Publishing. Damit wurde der Macintosh der Computer der Wahl in der kreativen Branche.23

Der schmale Grad zwischen Nutzerfreundlichkeit und Funktionalität

An diesem Beispiel erkennt man, wie schmal der Grad zwischen Nutzerfreundlichkeit und nötiger Funktionalität ist. Zudem lässt sich einiges zu deren Wichtigkeit ablesen.

Bei einer Demonstration des Apple Lisas 1984 betont Alfred Di Blasi, dass Leute nicht wissen sollten wie ein Computer funktioniert. Sie müssen ihn einfach bedienen können, um ihre Arbeit machen zu können. Computer seien Produktivitätstools, weshalb Leute mehr Zeit dafür aufbringen sollten, das zu tun, was sie können anstatt erst zu lernen, wie man das Werkzeug nutzt.24 Nichtsdestotrotz sollten solche Produktivitätstools erst einmal vorhanden sein.

Diesen Punkt kann man aus meiner Sicht auch auf die Gestaltung im Web übertragen. Zum einen halte ich es für wichtig, dass eine Webseite, angefangen bei der grundsätzlichen Struktur bis hin zum letztendlichen grafischen Interface, durchweg so aufgebaut sein muss, dass der Nutzer so wenig Hürden wie nötig bewältigen muss. Jedes Unverständnis und jede Unsicherheit auf dem Weg zum Ziel, birgt die potenzielle Gefahr, dass der Besucher abspringt. Zum anderen darf jedoch die Wichtigkeit der grundsätzlichen Funktionalität nicht übersehen werden.

Bestenfalls leben natürlich die primären Funktionen im harmonischen Einklang mit Nutzerfreundlichkeit und unterstützendem Interface-Design. Nichtsdestotrotz macht bei der Entwicklung von Webseiten der Einsatz von minimum viable products (mvp) durchaus Sinn. Dadurch wird sichergestellt, dass ein Produkt die Mindestanforderungen erfüllt, welche meiner Ansicht nach darin liegen, dass ein Produkt funktioniert. Das bedeutet, dass der Nutzer beim Besuch einer Webseite sein Ziel (und natürlich das des Unternehmens) erreichen soll. Hier sehe ich die Funktionalität als primären Faktor. Zwar können unterstützendes Design und hervorragende Nutzerfreundlichkeit die Chance auf Erreichen des Ziels massiv steigern, alleine kann jedoch nur die Funktionalität überleben.

Quellen
  1. Vgl. Philbin, Carrie Ann, CrashCourse: »Graphical User Interfaces: Crash Course Computer Science #26«, Stand: 30.8.2017, URL: https://www.youtube.com/watch?v=XIGSJshYb90, TC: 00:11:32–00:11:47, abgerufen am 12.1.2018.
  2. Vgl. Ebd., TC: 00:08:13–00:09:12.
  3. Vgl. Cringely, Robert X: »Triumph of the Nerds«, Dokumentation, 150 Minuten, Vereinigte Staaten 1996, TC: 01:52:54–01:53:33.
  4. Vgl. Ebd., TC: 01:46:50–01:47:00.
  5. Vgl. Ebd., TC: 01:48:55–01:49:42.
  6. Vgl. Ebd., TC: 01:54:21–01:54:32.
  7. Vgl. Ebd., TC: 01:54:32–01:54:55.
  8. Vgl. Ebd., TC: 01:50:41–01:51:48.
  9. Vgl. Ebd., TC: 01:53:34–01:54:09.
  10. Vgl. Philbin, Carrie Ann, CrashCourse: »Graphical User Interfaces: Crash Course Computer Science #26«, Stand: 30.8.2017, URL: https://www.youtube.com/watch?v=XIGSJshYb90, TC: 00:08:13–00:09:12, abgerufen am 12.1.2018.
  11. Vgl. Dernbach, Christoph: »Apple und Xerox PARC«, Stand: 10.8.2013, URL: http://www.mac-history.de/apple-geschichte-2/2012-01-29/apple-und-xerox-parc, Absatz 19 & 20, abgerufen am 20.1.2018.
  12. Vgl. DiBlasi, Alfred, adiblasi: »Tech: Apple Lisa Demo (1984)«, Stand: 19.11.2006, URL: https://www.youtube.com/watch?v=a4BlmsN4q2I, TC: 00:08:00–00:08:35, abgerufen am 12.1.2018.
  13. Vgl. Ebd., TC: 00:08:35–00:09:15.
  14. Vgl. Philbin, Carrie Ann, CrashCourse: »Graphical User Interfaces: Crash Course Computer Science #26«, Stand: 30.8.2017, URL: https://www.youtube.com/watch?v=XIGSJshYb90, TC: 00:08:13–00:09:12, abgerufen am 12.1.2018.
  15. Vgl. Ebd., TC: 00:09:12–00:09:43.
  16. Vgl. Cringely, Robert X: »Triumph of the Nerds«, Dokumentation, 150 Minuten, Vereinigte Staaten 1996, TC: 02:04:07–02:05:43.
  17. Ebd.
  18. Vgl. Ebd., TC: 02:06:41–02:07:37.
  19. Vgl. Ebd.
  20. Vgl. Philbin, Carrie Ann, CrashCourse: »Graphical User Interfaces: Crash Course Computer Science #26«, Stand: 30.8.2017, URL: https://www.youtube.com/watch?v=XIGSJshYb90, TC: 00:08:73–00:08:53, abgerufen am 12.1.2018.
  21. Vgl. Ebd., TC: 00:10:45–00:11:32.
  22. Vgl. Cringely, Robert X: »Triumph of the Nerds«, Dokumentation, 150 Minuten, Vereinigte Staaten 1996, TC: 02:09:09–02:09:42.
  23. Vgl. Ebd., TC: 02:09:48–02:09:42.
  24. Vgl. DiBlasi, Alfred, adiblasi: »Tech: Apple Lisa Demo (1984)«, Stand: 19.11.2006, URL: https://www.youtube.com/watch?v=a4BlmsN4q2I, TC: 00:06:18–00:06:32, abgerufen am 12.1.2018.
Abbildungen
  1. Titelbild: Light, Alan: »Apple Convention, Boston, Spring 1983. An original Apple Lisa at work.«, Stand: Frühling 1983, via Wikimedia Commons, abgerufen am 28.1.2018, Lizenz: CC BY 2.0.