Der Dokumentarfilm »ForEveryone.net« verbindet die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Webs. Unter anderem durch Umfragen, Interviews sowie Tim Berners-Lee als Erzähler selbst, schafft die Regisseurin Jessica Yu einen Film, welcher einen kurzen, aber präzisen Einblick in die Entwicklung und Grundideen des World Wide Web gibt.
Schon in den ersten Minuten bringen Jeff Jaeff, Daniel Weitzner und Peggie Rimmer die Wichtigkeit des Webs auf den Punkt. Jaeff beschreibt das Web als die transformierende Entwicklung überhaupt in unserer Zeit.1 Daniel Weitzner glaubt fest daran, dass es keine andere Technologie gibt, die so viel für freie Meinungsäußerung, Zugang zu Wissen und Demokratie getan hat als das Web.2 Peggie Rimmer sagt vorher, dass die Welt buchstäblich angehalten wird, wenn das Web untergeht.3
Vor allem die letzte Aussage wirft bei mir viele Fragen und Gedanken auf. Während wir uns langsam, Jahr für Jahr, an das Web gewöhnt haben, wäre der Untergang ein tatsächlicher – sicher zeitlich begrenzter – Untergang. Das Web ist so präsent und selbstverständlich, dass das Leben vieler massiv davon abhängt. Ganze Berufe und Branchen sind ausschließlich dem Web zu verdanken und selbst in Bereichen, welche nicht in erster Linie mit dem Web verbunden sind, wäre es fatal, wenn keine Kommunikation über das Web bzw. das Internet stattfinden könnte. Es geht dabei nicht nur um die tägliche Kommunikation via E-Mail oder das Gestalten schöner Webseiten als Beruf. Allein die Forschung, die durch den weltweiten Austausch von Daten massiv von der Vernetzung profitiert, wäre sicher um einiges zurückgeworfen.
Umso besser, dass Tim Berners-Lee eines Tages mit seinem Vater eine Diskussion über eine Idee des Vaters hatte. Berners-Lee erzählt die Anekdote, dass sein Vater nach Ideen suchte, um Computer intuitiver zu machen und Verbindungen zu vervollständigen, wie es das Gehirn kann. Computer sind gut in der logischen Organisationsverarbeitung, aber nicht darin Verbindungen zu schaffen. Dass Computer sehr viel stärker wären, wenn unverbundene Informationen verbunden werden würden, schlummerte weiter als Vision in Berners-Lees Hinterkopf. Laut ihm sind die Verbindungen wichtig und in einer extremen Sichtweise könnte man sogar sagen, dass alles nur aus Verbindungen besteht.4
Die Anfänge des Internets sind schon in den 60er Jahren zu finden, doch Informationen abzurufen oder einzuspielen war für Lieschen Müller unmöglich. Daniel Weitzner drückt es so aus, dass Berners-Lee viel Komplexität weggenommen hatte und das Internet durch das World Wide Web zugänglich machte.5
Das grundsätzliche Problem war nämlich die Inkompatibilität der Computer, weshalb sie oft nicht miteinander kommunizieren konnten. Bei CERN lag die Schwierigkeit schon darin, dass nicht einmal die Stromstecker untereinander kompatibel waren. Die Mitarbeiter kamen aus der ganzen Welt und da es keine strengen Reglements gab, arbeitete jeder an unterschiedlichen Rechnern. Da Berners-Lee irgendwann genug davon hatte, baute er einen eigenen Adapter, der so flexibel war, dass er alles tun kann, was er damit tun möchte. Daraus entstand die weitere Vorstellung, wie es wäre, wenn er seinen Computer so programmieren könnte, dass er einen Raum kreiert, in dem alles verlinkt ist. Jede Information, jedes Bit auf dem Planeten wären für ihn sowie jeden anderen verfügbar. Ein einziger Informationsraum.6
Welche Ideen hinter diesem Informationsraum stecken, so wie z. B. die Dezentralisierung oder die Arbeit mit möglichst wenigen Regeln, fasse ich bereits in »Vision eines Visionärs« zusammen.
Während durch meine bisherige Auseinandersetzung viele Dinge wie die Namensgebung des Webs, die freie Herausgabe von CERN oder beispielsweise die Magna Carta nicht neu für mich waren, fand ich einen neuen Anhaltspunkt in den Erzählungen von Tilly Blyth, Kuratorin des Londoner Science Museum. Sie erklärt, dass schon viele darüber nachgedacht haben, wie man Informationen kategorisieren, verlinken und teilen kann.7 Auf der Webseite des Museums finde unzählige weitere Informationen, die im weiteren Verlauf hilfreich werden könnten. Zudem nennt sie Ted Nelson, Vannevar Bush oder Paul Otlet, welcher die Idee eines physischen Platzes entwickelte, wo alle Informationen aufbewahrt und auf Anfrage abgerufen werden können.8
Insgesamt fühlt sich der Film wie eine Hommage an das Web an, welche es durchaus auch verdient hat. In den letzten Szenen wird Tim Berners-Lees Auftritt bei der Eröffnungsfeier der olympischen Spiele 2012 in London gezeigt, wo er als Erfinder des Webs vorgestellt und mit riesigen Lettern »THIS IS FOR EVERYONE« auf den Zuschauertribünen begleitet wird.9 Das unterstreicht seinen Kampf um das offene Web und die weltweite Verbreitung. Erst wenn jeder Mensch am World Wide Web teilnehmen wird und garantiert werden kann, dass das Web ein offener Informationsraum bleibt, wird Tim Berners-Lees Vision in so mancher Hinsicht erfüllt sein.
Quellen
- Vgl. Yu, Jessica, Non-Fiction Unlimited: »ForEveryone.net«, USA 2016, URL: http://www.foreveryone.net/, TC: 00:00:40–00:00:45, abgerufen am 17.4.2017.
- Vgl. Ebd., TC: 00:01:05–00:01:16.
- Vgl. Ebd., TC: 00:01:30–00:01:35.
- Vgl. Ebd., TC: 00:05:02–00:05:57.
- Vgl. Ebd., TC: 00:07:20–00:07:32.
- Vgl. Ebd., TC: 00:09:44–00:11:47.
- Vgl. Ebd., TC: 00:06:15–00:07:20.
- Vgl. Ebd.
- Vgl. Ebd., TC: 00:23:32–00:33:56.
Abbildungen
- Titelbild: Eigener Screenshot; Yu, Jessica, Non-Fiction Unlimited: »ForEveryone.net«, USA 2016, URL: http://www.foreveryone.net/, TC: 00:33:37, abgerufen am 17.4.2017./li>