Ted Nelsons Xanadu als Wegbereiter des World Wide Webs?

Ted Nelson – Xanadu

Bei der Recherche über das World Wide Web darf Ted Nelson nicht fehlen. Er prägt 1965 den Begriff Hypertext und schrieb von literarischen Maschinen, welche dem Menschen ermöglichen sollen, Informationen niederzuschreiben und zu publizieren.1 Zudem träumt er von einer utopischen Gesellschaft, in der Menschen alle Informationen teilen können und sich auf Augenhöhe begegnen.2 Seine wahrscheinlich bekannteste Arbeit ist das Hypertext-Projekt Xanadu, welches 1960 seinen Anfang nahm.

Das Projekt Xanadu

Durch das Projekt Xanadu soll ein »Docuverse«, ein Universum aus Dokumenten, entstehen, welches es möglich macht, jegliche Literatur fest miteinander zu verflechten.
Alex Wright beschreibt in seinem Vortrag, dass es bei Xanadu nicht nur um simple Verlinkungen geht, sondern um dynamische Beziehungen, wenn ein Abschnitt in einen anderen Abschnitt kopiert wird. Das Dokument lebt innerhalb des anderen weiter, jedes hat seinen Platz und wird dynamisch upgedatet.3

In einer Demonstration von Xanadu Space, der meinem Verständnis nach letzten Xanadu-Version vor der aktuellen OpenXanadu aus dem Jahr 2013, spricht Ted Nelson über seine ursprüngliche Hypertext-Idee. Als Schreibender sah er das Blatt Papier als Gefängnis, durch das der Text von vier Wänden eingesperrt wurde und aus dem Ideen entfliehen wollten. Klammern oder Fußnoten sind dabei erste Hinweise darauf, dass ein Bedarf besteht, Texte miteinander zu verbinden oder mit zusätzlichen Informationen zu versehen. Mit der Erfindung von Computern sah er die Möglichkeit, aus diesem Papiergefängnis zu entfliehen.4
Mit elektronischen Dokumenten sind viele Dinge möglich, die mit Papier nicht umsetzbar sind. Umso irrsinniger ist es aus seiner Sicht, dass alle versuchen Papier zu imitieren; so z. B. Adobes Acrobat oder Microsofts Word. Er kann nicht verstehen, wieso es nicht möglich ist Randnotizen zu machen, da er Parallelität als großen Vorteil elektronischer Schriftstücke sieht. Diese Parallelität macht es laut ihm einfacher, Texte zu schreiben und zu lesen.5

Xanadu sieht Nelson als Lösung des Problems. Bei seiner Präsentation zeigt er den dreidimensionalen Raum, der in seinem Beispiel aus elf Dokumenten und 27 Verweisen besteht. Neben den »Deep Links« für Inhaltsverknüpfungen, liefert er einen wichtigen Ansatz mit dem von ihm geprägten Begriff »Transklusion«.

Mit Transklusion ist die Verbindung zwischen einem Hauptdokument und einer Begleitseite gemeint. Dabei sind die Inhalte an verschiedenen Orten verfügbar und das Hauptdokument wird auf diese Weise mit weiteren Informationen verbunden.6 Dabei geht es nicht um einen Link zum ursprünglichen Inhalt, sondern um eine Wiederverwendung dessen.7 Das bedeutet, dass beispielsweise Änderungen im originalen Text, dynamisch im aktuellen Dokument geupdatet werden. Nelsons Beschreibung nach »ist die Transklusion das, was Zitat, Nachahmung und Querverweis lediglich versuchen. […] Alias und Caches sind Formen der Transklusion«8. Er bemerkt zusätzlich, dass Vannevar Bushs Idee des Memex mit Transklusionen anstelle von Links arbeitet.9

In Xanadu Space werden sie sichtbar, wenn man sich durch die Hauptseite klickt. Man erhält parallel die verbundene Information, die auf der Begleitseite im eigentlichen Kontext zu sehen ist.10 In diesem riesigen Kosmos aus Verknüpfungen, kann man einer Verbindung folgen und genau nachvollziehen, was sie bedeutet.11 Damit besteht der Informationsraum aus vielen Informationsatomen, die Klammern, Fußnoten oder Formulierungen wie »Wie schon erwähnt« überflüssig machen.

Unterschiede zum und Probleme mit dem World Wide Web

Ted Nelson hat offensichtlich ein Problem mit dem aktuellen Aufbau des World Wide Webs. So schreibt er beispielsweise in »I DON’T BUY IN«, dass das Web kein Hypertext ist, sondern nur dekorierte Verzeichnisse. Er fügt hinzu, dass es bei Xanadu ausschließlich um die Dokumentenstruktur geht, so dass Autoren und Leser nicht über Dateistrukturen oder hierarchische Verzeichnisse nachdenken müssen, sondern sich auf das wesentliche konzentrieren können. Gleichermaßen ist er der Ansicht, dass das Dokument und das MarkUp voneinander getrennt sein müssen, um den Inhalt nicht mit der Präsentation zu vermischen.12 Auf technischer Ebene sieht er einen fundamentalen Fehler des Webs darin, dass Links nur in eine Richtung führen. Er macht deutlich, dass es eine Alternative zum aktuellen Aufbau des World Wide Webs gibt und sie – vermutlich das Team und Xanadu-Anhänger – weiter dafür kämpfen werden.13

Offen gesagt fällt es mir schwer zu beurteilen, inwiefern Ted Nelson mit seinen Aussagen richtig liegt. In manchen Teilen meiner Auseinandersetzungen hatte ich das Gefühl, dass er den verlorenen Kampf nicht akzeptieren will und aus diesem Grund an mancher Stelle behauptet wird, dass Tim Berners-Lee seine Idee geklaut und schlecht umgesetzt hat. Auf der anderen Seite halte ich vor allem die Verwendung von Transklusionen für großartig und dem Web bei weitem voraus. Das treibt meiner Meinung nach den Gedanken einer völligen Vernetzung sinnvoll weiter. Auch die Verwendung bidirektionaler Links halte ich hierbei für einen Fortschritt. Ähnlich wie bei Bushs Memex sehe ich die Möglichkeit, Inhalte nicht nur miteinander zu verknüpfen, sondern Verknüpfungen nachvollziehen zu können. Hierdurch kann wiederum neues Wissen generiert werden.

Um diese Frage final zu klären, müsste ich mich durch die unzählig vorhandenen Dokumente über Xanadu arbeiten, was ich aus Zeitgründen nicht tun werde; dafür ist sie für mein gesamtes Masterthema letztendlich nicht wichtig genug. Jedoch werde ich mich eventuell in einem weiteren Beitrag der Frage widmen, inwiefern ein System wie Xanadu Auswirkungen auf das UI im Web hätte. Bisherige visuelle Eindrücke halte ich nämlich nicht für sonderlich praktikabel oder zumindest nicht für sehr ansprechend.

Abschließend möchte ich noch – völlig umkommentiert – weitere Begriffe für mich festhalten, die Nelson geprägt hat. Alex Wright erwähnt sie in seinem Vortrag und sie könnten möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt wichtig werden: stretchtext, zippered list, window sandwiches, indexing vortexes, part-punces, tumblers, collateral hypertext, Hummers, thinkertoys, fresh hyperbooks, anthological hyperbooks, grand systems.14

Quellen
  1. Vgl. Berners-Lee, Tim; Fischetti, Mark (Hg.): »Weaving the Web – The Original Design and Ultimate Destiny of the World Wide Web«, New York 2000, S. 5.
  2. Vgl. Ebd.
  3. Vgl. Wright, Alex, UX Brighton: »The Web That Wasn’t: Forgotten Forebears of the Internet«, Stand: 10.6.2014, URL: https://www.youtube.com/watch?v=CR6rwMw0EjI, TC: 00:44:40–00:45:56, abgerufen am 18.8.2017.
  4. Vgl. Nelson, Theodor Holm, photonhunter: »Ted Nelson demonstrates Xanadu Space«, Stand: 6.9.2008, URL: https://www.youtube.com/watch?v=En_2T7KH6RA, TC: 00:30:00–00:01:20, abgerufen am 23.10.2017.
  5. Vgl. Ebd., TC: 00:01:20–00:02:30.
  6. Vgl. Ebd., TC: 00:03:12–00:04:52.
  7. Vgl. Nelson, Theodor Holm; Project Xanadu; Keio University: »Xanalogical Structure, Needed Now More than Ever: Parallel Documents, Deep Links to Content, Deep Versioning and Deep Re-Use«, URL: http://www.xanadu.com.au/ted/XUsurvey/xuDation.html, Absatz 4, abgerufen am 23.10.2017.
  8. Ebd., Absatz 6.
  9. Vgl. Ebd., Absatz 9.
  10. Vgl. Nelson, Theodor Holm, photonhunter: »Ted Nelson demonstrates Xanadu Space«, Stand: 6.9.2008, URL: https://www.youtube.com/watch?v=En_2T7KH6RA, TC: 00:03:12–00:04:52, abgerufen am 23.10.2017.
  11. Vgl. Ebd., TC: 00:04:56–00:05:10.
  12. Vgl. Nelson, Theodor Holm: »I DON‘T BUY IN«, URL: http://ted.hyperland.com/buyin.txt, abgerufen am 24.10.2017.
  13. Vgl. Ebd.
  14. Vgl. Wright, Alex, UX Brighton: »The Web That Wasn’t: Forgotten Forebears of the Internet«, Stand: 10.6.2014, URL: https://www.youtube.com/watch?v=CR6rwMw0EjI, TC: 00:46:53–00:47:46, abgerufen am 18.8.2017.
Abbildungen
  1. Titelbild: Unbekannt: »Mockup of transpointing windows, closeup view, 1972«, URL: http://www.xanadu.com.au/ted/XUsurvey/xuDation.html, abgerufen am 23.10.2017.