Dragan Espenschied & Olia Lialina: »Once Upon«

Mit »Once Upon« versetzen Olia Lialina und Dragan Espenschied 2011 die drei sozialen Netzwerke Facebook, Google+ und YouTube zurück ins Jahr 1997. 2012 kommt Pinterest als viertes Netzwerk hinzu. Alle Netzwerke sind nach den Möglichkeiten im Jahr 1997 aufgebaut und funktionieren tatsächlich. So sind beispielsweise die Google-Kreise keine Kreise, sondern eine Anordnung eckiger Tabellen-Elemente und auf Grund technischer Begrenzung kann man bei Facebook nur 16 Freunde haben.1

Wie Olia Lialina in dem auf Vimeo zu sehenden Vortrag (Zum Vortrag ») bei der »Unlike Us Amsterdam #2« selbst erzählt, war 1997 ein bedeutendes Jahr in der Geschichte des Webs und ausschlaggebend für die Wahl des Jahres. Die dot.com-Manie bricht aus und läutet – technologisch und gesellschaftlich – den Beginn der Zukunft ein. Es herrscht die Euphorie, dass nun etwas Großes los geht oder dass nun z. B. jeder reich werden kann. Mit dem Netscape Communicator kommt ein Browser auf den Markt, der erste Applikationen erlaubt, wenn auch noch auf einem niedrigen Level. Dinge wie z. B. Real-Time-Kommunikation liegen zwar noch in der Zukunft, aber erste Erfahrungen kommen auch in dieser Zeit zu Stande. Deshalb verändert sich das Jahr der Netzwerke nie – es bleibt immer das Jahr 1997.2

Die Plattformen

Facebook

An dieser Stelle möchte ich primär auf die Netzwerke selbst eingehen. Hintergründe und Vorüberlegungen sind im Vimeo-Beitrag zu sehen.
In Facebook ist man grundsätzlich als Gast unter dem Namen Jennyxxxxx (xxxxx = eine sich ändernde Zahl) unterwegs. Der Bildschirm ist in drei Bereiche aufgeteilt: Am oberen Bildschirmrand ist die für Facebook typische blaue Leiste zu sehen. Außerdem sieht man zum einen den Bereich des eigenen Ichs Jenny, sowie einen durch Frames aufgeteilten Bereich, der 16 Freunde beinhaltet. Im eigenen Bereich ist links eine Spiralbindung zu sehen, grafisch ist diese Darstellung von »echten Gegenständen im Internet« nicht untypisch für die »90er« (, die laut Olia Lialina viel zu oft pauschal als die »90er« beschrieben werden, obwohl das Jahrzehnt viel detaillierter zu betrachten ist). Der Bereich der Freunde ist durch die Grafik einer Ziegelsteinmauer hinterlegt – die Facebook-Wall, die im Grunde eher dem News-Feed gleichzusetzen ist. In Bezug auf die Facebook-Begrifflichkeiten wäre der Wall-Hintergrund oder im deutschen ein Pinnwand-Hintergrund an Stelle des »Spiralbindung-Buchs« denkbar. Seit der Umbenennung zur Chronik ist es aber so sicher passender. 
Man kann selbst etwas im Netzwerk posten (»Submit« anstelle von »Post«) oder – wie typisch für Formulare – die »Clear«-Funktion nutzen. Man kann Beiträge seiner Freunde sehen und für sie voten –  unterstützt von einer anschließenden Feuerwerk-Animation. Die Profilbilder bestehen aus einer schönen Mischung charmanter 90er-Animationen, Cliparts oder z. B. Fotos. 

Google+

Dieselbe Mischung an Fotos sieht man auch in seinem Google+-Profil. Dort hat man im Header-Bereich, wo auch das Logo, die Suche, sowie der Hinweis, dass man als Jennyxxxxx eingeloggt ist, eine Auswahl zwischen »Users«, »Messages« und »YourProfil«. Folgend kommt ein Bereich der vorhandenen User, inklusive Dropdown-Auswahl, um selektierte User einem Kreis hinzuzufügen. Am unteren Bildschirmrand sieht man den Bereich der Kreise, die aus technischen Gründen eher einem »quadratischen Kreis« entsprechen. 16 Quadrate stellen den Kreis dar, in dem schon die ersten User zu sehen sind, in der Mitte davon sieht man die Art des Kreises, z. B. »colleagues«. Außerdem kann man natürlich noch einen neuen Kreis erstellen. 

YouTube

Die Video-Plattform YouTube ist vertikal in drei Bereiche eingeteilt, von denen die zwei äußerem Frames mit einem roten Vorhang hinterlegt sind. Durch die »Frames-Rahmen« kann man so den Vorhang auf- und zu ziehen. Der mittlere Bereich ist horizontal in drei Bereiche eingeteilt. Der oberste Bereich enthält wieder das Logo, die Suchfunktion, sowie den Namen des eingeloggten Users. Im mittleren Bereich ist das Video selbst zu sehen sowie der Titel, Benutzername und das Datum. Im letzten Bereich ist eine Auswahl an verschiedenen Video-Containern, Codecs und Bandbreiten möglich. Das ist auch darauf bezogen, dass damals eine Unmenge verschiedener Formate vorhanden war. Zwar gibt es noch heute verschiedene Formate und Codecs, jedoch haben sich wenige Standards für die Darstellung im Web durchgesetzt. Noch immer wird aber nicht jedes Format in jedem Browser dargestellt und verschiedene Versionen werden benötigt. Man kann übrigens einen FTP-Zugang beantragen, um tatsächlich Videos hochzuladen!

Pinterest

Als Nachzügler kam Pinterest als viertes Netzwerk hinzu. Pinterest ist vertikal in zwei Hauptbereiche aufgeteilt. Im linken Bereich befindet sich das Logo, der Hinweis als welcher Nutzer man online ist, ein Design- und Pin-Button, sowie eine Auswahl an Kategorien und Nutzer. Im rechten Bereich findet man nach einem Willkommenstext, sowie der Aufforderung sich einen Account anzulegen, die Bilder aller Nutzer. Die Bilder sind untereinander dargestellt, da die typische masonry-Pinterest-Darstellung erst später möglich war. Über den »Design«-Button kann man einen persönlichen Hintergrund aus einer Auswahl von Tapeten wählen. Mit dem »Pin«-Button tatsächlich Bilder pinnen, einen dazugehörigen Rahmen auswählen, sowie das Ganze im nächsten Schritt in die richtige Kategorie einordnen.

Besonders spannend finde ich bei diesem Projekt zum einen die Liebe zum Detail bei der Frage, was damals alles möglich war. Zum anderen die amüsanten Zusätze, die sich in den Grundfunktionen zwar aus meiner Sicht etwas zum Original unterscheiden, sich aber sinngemäß perfekt eingliedern: YouTube besitzt beispielsweise einen auf Frames basierten roten Vorhang und Pinterest beinhaltet die Funktion, dass eine Auswahl verschiedener »Tapeten« vorhanden ist, um sie als persönlichen Hintergrund einzustellen. Hier wird aus meiner Sicht – unwissend, ob überinterpretiert – ein hervorragender Bezug dazu hergestellt, wie die Medienwelt für die Gesellschaft funktioniert hat. So war das soziale Erlebnis »Filme schauen« noch eher eine Sache, die im Kino stattfand. »Bilder schauen« war ein Teil des heimischen Wohnzimmers. Zwar war das Hochladen von Fotografien grundsätzlich schon möglich und wurde teilweise schon betrieben, aber es gab nicht im Ansatz die Verbreitung von heute. Fotos konnten nicht einfach via Facebook hochgeladen werden und selbst das Verschicken über das Handy via MMS war erstmals im November 2002 möglich.3 Auch die Zustimmung in Form eines »Like« gab es nicht. Daher finde ich es großartig, dass selbst dieser Button im Facebook 1997 zum »Vote«-Button umgedacht wurde – unterstützt von der anschließenden Feuerwerk-Animation.
Olia Lialina weist in ihrem Vortrag darauf hin, dass selbst die Servergeschwindigkeit auf 8 kB gedrosselt wurde, um die Nutzererfahrung zu verbessern. Auch das sehe ich als einen genialen Einfall, der grundsätzlich natürlich naheliegend ist. Heutzutage können wir uns nicht einmal mehr im Ansatz vorstellen, wie langsam das Internet damals war, nachdem man sich mühevoll unter lauter Kulisse eingewählt hat. Insgesamt halte ich es für ein großartiges Konzept, die Netzwerke bzw. generell die Möglichkeiten unserer Zeit »zurückzudenken«. 

Quellen
  1. Vgl. Vortrag vom 9.3.2012 von Olia Lialina auf Vimeo, network cultures: »Imaginary Origins of Social Networks«, im Rahmen der »Unlike Us Amsterdam #2«, URL: https://vimeo.com/38840992, abgerufen am 17.10.2015.
  2. Vgl. Ebd.
  3. Vgl. Mielke, Bernd: »MMS in Deutschland«, URL: http://www.dafu.de/mms/mms-d.html, abgerufen am 18.10.2015.
Abbildungen
  1. Titelbild: Eigener Screenshot; Lialina, Olia; Espenschied, Dragan: »Once Upon«, URL: http://www.1x-upon.com/, abgerufen am: 13.10.2015.