Mögliche Wege meiner Master-Arbeit

In meiner Zwischenbesprechung mit Alain Yimbou am 28.3.2018 geht es um den aktuellen Stand meines Master-Projekts sowie um die mögliche praktische Umsetzung. Mein Thema, das den Arbeitstitel »evolution of a medium« trägt, zielt auf die kulturellen, technologischen und visuellen Veränderungen des World Wide Webs von Beginn an.

In meiner Zwischenbesprechung mit Alain Yimbou am 28.3.2018 geht es um den aktuellen Stand meines Master-Projekts sowie um die mögliche praktische Umsetzung. Mein Thema, das den Arbeitstitel »evolution of a medium« trägt, zielt auf die kulturellen, technologischen und visuellen Veränderungen des World Wide Webs von Beginn an.

Mögliche Inhalte

Kulturell sind für mich die Verformung der Gesellschaft, die Auflösung geographischer Grenzen, die Infosphäre, die Neuordnung von Raum und Zeit sowie das Web als Abbild der Kultur interessant. Technologisch könnte man das Web als jeweiligen Prototype der nächsten Entwicklung sehen. Zudem ist die Technologie als Motor und Lösung spannend für mich. Entwicklungen im Frontend, wie beispielsweise die Erstellung von Web-Layouts mit Tabellen, Floats, Flexbox oder CSS Grid gehören dabei fast schon in den visuellen Bereich.

Während kulturelle und technologische Aspekte vielmehr eine Nebenrolle spielen werden, steht vor allen Dingen der visuelle Part im Vordergrund. Nachdem das Web anfänglich mit seinen sehr gegenständlichen UI-Elementen eher eine Übersetzung der materiellen Welt war, evolviert es zunehmend zu einem eigenen Medium. Weiter halte ich den Verlauf von einer »No-Layout-Ära« hin zu sehr statischen Layouts und zurück zu fluiden Umsetzungen für sehr wichtig. Auch hier ist zu sehen, dass sich das Web zunächst sehr am Printbereich orientiert hat, um sich dann als eigenes Medium zu etablieren. Die Veränderung der grafischen Benutzeroberflächen, basierend auf kulturellen Lernprozessen und technologischem Fortschritt, ist ein weiterer essenzieller Bestandteil.

Theoretischer Teil

In meinem theoretischen Part möchte ich mich neben der historischen Entwicklung des World Wide Webs und grafischer Benutzeroberflächen mit Informationssystemen, medientheoretischen Inhalten sowie allgemeinen Konzepten des World Wide Webs auseinandersetzen. Dieser Bereich bietet zwar nur oberflächliche Einblicke, hilft mir jedoch zur Orientierung und zur Erfassung des Gesamtkontexts.
Im Bereich der Informationssysteme werde ich mich unter anderem mit Paul Outlet, Vannevar Bushs Memex, J.C.R. Licklider, Ted Nelson, Doug Engelbart und Bill Atkinsons HyperCard beschäftigten. Im medientheoretischen Teil möchte ich Einblicke in die Theorien von Marshall McLuhan, Vilem Flusser, Luciano Floridi, Byung-Chul Han oder Felix Stalder geben. Hier muss eine weitere Auswahl oder Erweiterung zeigen, welche Inhalte tatsächlich relevant für meine Arbeit sein werden. Im allgemeinen könnten Konzepte wie z. B. das von Linked Open Data bereichernd sein.

Praktische Ansätze

In welche exakte Richtung mein praktisches Projekt gehen könnte, ist momentan noch unklar. Für ein spannendes Detail halte ich die zeitliche Einordnung. In diesem Jahr wird das freie World Wide Web 25 Jahre alt und das erste Proposal jährt sich im kommenden Jahr zum 30. Mal. Ich kann mir sowohl eine Ausstellung im World Wide Web als auch im realen Raum vorstellen, wobei wir die ausschließliche Präsentation im Web während des Gesprächs ausgeschlossen haben. Um die digitalen Ergebnisse physisch greifbarer zu machen, macht es durchaus Sinn eine Exposition im realen Raum zu entwickeln. Wie die finale Umsetzung aussehen könnte, muss sich allerdings während meiner weiteren Arbeit herauskristallisieren.

Wie in meinem Beitrag »evolution of a medium« schon ausgeführt, kann ich mir vorstellen, eigene Räume zu bauen und Elemente des Webs, wie beispielsweise den berühmten Sternenhimmel oder MIDI-Sound, ins Analoge zu transportieren. Weiter wäre die Übersetzung von UI-Elementen mithilfe von 3D-Druck denkbar. Im vergangenen Beitrag beschreibe ich mögliche weitere Komponenten, welche ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen möchte.

Ausblick

Meine Arbeit könnte Fragen nach zukünftigen Veränderungen beinhalten. Sowie der Einsatz von Natural User Interfaces vieles in der Gestaltung verändert hat, gehe ich davon aus, dass Conversational User Interfaces, Voice Interfaces oder dergleichen massive Auswirkungen auf grafische Benutzeroberflächen haben werden. Auch das Konzept von Linked Open Data beziehungsweise die generelle – auch automatisierte – Darstellung von Informationen wird sicher noch viele, neue Herausforderungen für Gestalter mit sich bringen.
Vor allem die neueren Formen von Interfaces als auch die Verwendung von Technologien wie Eye-Tracking und Augmented oder Virtual Reality, könnten aus meiner Sicht die Auflösung aktueller Formen von grafischen Benutzeroberflächen mit sich bringen.

Inspirierende Projekte

Abschließend habe ich inspirierende Projekte zusammengefasst, welche ich innerhalb meiner Master-Dokumentation behandelt habe. Dazu gehört »Once Upon« von Olia Lialina und Dragan Espenschied, welche im Jahr 2011 soziale Netzwerke mit den technologischen Möglichkeiten von 1997 nachbauten. Weiter inspiriert mich von den beiden Netzkünstlern »One Terabyte of Kilobyte Age«, welches ein Archiv von geocities-Seiten darstellt, die kurz vor Schließung des Dienstes gesichert wurden. Bei beiden gefällt mir vor allen Dingen die visuelle Komponente, welche die visuelle Ästhetik der 90er Jahre widerspiegelt. »Grosse Fatigue« stellt für mich eine großartige, poetische Form dar, ein Thema zu behandeln. Eine beeindruckende Verbindung zwischen theoretischen Inhalten und visueller Darbietung sehe ich zudem in den Projekten »In Pieces« von Bryan James, »Pulse« von Markus Kison und »Laws of UX« von Jon Yablonski.

Für meine Abschlussarbeit möchte ich eine visuelle Form finden, welche die Inhalte direkt und ohne Umschweife kommuniziert und die Ästhetik des Webs gleichermaßen mit aufnimmt.

Paul Otlets Proto-Web

Ursprünglich wollte ich mich mit Paul Otlet, dem Pionier des Informationsmanagements, nur weiter auseinandersetzen, wenn es für meinen Master relevanter wird. Im Zuge meiner Recherche über wichtige Vorreiter in Bezug auf Informationsräume oder spezieller das World Wide Web, fällt Paul Otlet zwar nicht mehr oder weniger Gewicht als zuvor. Während ich mich mit der universellen Dezimalklassifikation, dem Mundaneum und seiner Vision der World City auseinandergesetzt habe, entgingen mir jedoch weitere interessante Details sowie Pläne, die er für neue Technologien hatte.

Ursprünglich wollte ich mich mit Paul Otlet, dem Pionier des Informationsmanagements, nur weiter auseinandersetzen, wenn es für meinen Master relevanter wird. Im Zuge meiner Recherche über wichtige Vorreiter in Bezug auf Informationsräume oder spezieller das World Wide Web, fällt Paul Otlet zwar nicht mehr oder weniger ins Gewicht als zuvor. Nichtsdestotrotz möchte ich neue Erkenntnisse dokumentieren, auf welche ich inzwischen gestoßen bin.

Während ich mich mit der universellen Dezimalklassifikation, dem Mundaneum und seiner Vision der World City beschäftigt habe, entgingen mir weitere interessante Details sowie Pläne, die er für neue Technologien hatte. Da man über Paul Otlet sicher ganze Doktorarbeiten schreiben könnte, hoffe ich die Gedanken dieses Genies in dieser kurzen Form gerecht und vor allem korrekt wiederzugeben.

Karteikarten und Telegraphenmaschinen als Hypermedium

Durch die benutzten Karteikarten war es möglich, einzelne Informationen – ob bibliographisch oder inhaltlich – analytisch festzuhalten und größere Informationsbrocken konnten auf separaten Blättern manifestiert werden. Das nennt Otlet das »monographische Prinzip«.1 Warden Boyd Rayward, der erste Biograph Otlets, vergleicht das mit den Knoten und Textstücken in Hypertext2 und tatsächlich kann die Arbeit als Hypermedium bezeichnet werden. Alex Wright schreibt in einem Artikel, dass Otlets Proto-Web zwar auf einem Patchwork aus analogen Technologien wie Karteikarten und Telegraphenmaschinen beruhte, es jedoch die vernetzte Struktur des heutigen Webs vorwegnahm.3 Auch laut Rayward legt eine Untersuchung der Ideen und Verfahren, auf denen die Entwicklung der Datenbanken basieren, nahe, dass sie sehr ähnlich zu Hypertext-Systemen sind. Sie bestanden aus Knoten und Abschnitten und durch ein System aus Links und Navigationsvorrichtungen gelangte der Nutzer von bibliographischen Referenzen zu Volltext, Bildern oder Objekten.4

Informationen können so losgelöst vom Gesamtwerk des jeweiligen Autors gelesen und kombiniert werden. Rayward erläutert, dass Otlet diese Möglichkeit Wissen in einer flexiblen, enzyklopädischen Weise anzuordnen »Kodifizierung« nennt.5 Diese Form von »Datenbanken« war wichtig, um eine neue Art von »Bezugs- und Konsultationsfunktionen«6 zu schaffen. Zudem war Otlet dieses Herauslösen der Informationen wichtig, um dem Autor nicht »sklavisch durch das Labyrinth eines persönlichen Plans folgen zu müssen«7. Dem Leser sollte ermöglicht werden, wichtige Inhalte zu scannen und den uninteressanten fernzubleiben.8

Neben der Tatsache, dass es neue Möglichkeiten dafür geben sollte, Texte in maschinenlesbarer Form zu bearbeiten, so dass die ursprüngliche Integrität des Dokuments erhalten bleibt,9 hatte Otlet die Idee, Texte so verfügbar zu machen, dass sie »nach Belieben durchsucht, analysiert, abstrahiert und neu formatiert werden konnten«10. Das ist konzeptionell sehr nah an heutigen Textverarbeitungsprogrammen und auch eine Form von Computer hatte er sich schon damals vorgestellt.

Das Proto-Web

Als das Mundaneum mit seinen unzähligen Karten und Blättern mehr und mehr wuchs, suchte er nach Lösungen, die Masse an Papier in den Griff zu bekommen. Er begann daher, so Alex Wright, neue Technologien zu entwerfen. Darunter unter anderem ein Art Papiercomputer, der – ausgestattet mit Rädern und Speichen – Dokumente auf der Schreibtischoberfläche bewegte. Seine finale Antwort soll jedoch das Verschrotten von Papier insgesamt gewesen sein.11
Weiter dachte er über die Möglichkeit einer elektronischen Datenspeicherung nach, welche später in seine Vision eines »mechanischen, kollektiven Gehirns« mündete, das alle Informationen der Welt innerhalb eines globalen Telekommunikationsnetzes abrufbar machen sollte.12 Ein Ansatz war der, Informationen in einer neuen Form der Enzyklopädie – der Encyclopedia Microphotica Mundaneum – über Mikrofilme verfügbar zu machen.13 Diesen Weg der Informationsverbreitung findet man später beispielsweise auch bei Vannevar Bushs Idee des Memex.

Paul Otlet | Telekommunikation
Eine von Otlets Skizzen über Telekommunikation

Folgend sah er die Möglichkeit, auf dieses angedachte universelle Netzwerk für Informationen und Dokumentation via Multimedia-Arbeitsstationen zuzugreifen, die zu dieser Zeit jedoch noch nicht erfunden waren.14 Er hatte aber bereits die Vision, dass eine Maschine benötigt werde, die das Fernschreiben und -lesen ermöglichten, so dass Gelehrte auch zu Hause Dokumente lesen konnten – verbunden per Kabel wie das Telefon oder ohne Kabel wie das Radio.15 In Otlets medienübergreifendem Netz sollte Raum für die Partizipation des Lesers sein.
Ferner spekulierte er, dass der »Schreibtisch der Zukunft nur aus einem Bildschirm oder mehreren Bildschirmen sowie einem Telefon bestehen könnte, um Dokumente abrufen zu können«16. Auch die Tonübertragung mit einer Art Lautsprecher sowie die komplette Verschmelzung innerhalb einer Maschine sah er dabei vor.17 Alex Wright führt diese skizzierten Pläne für ein globales Netzwerk von Computern bzw. »elektrischen Teleskopen« weiter aus. So sollen die Millionen miteinander verknüpften Dokumente, Bilder, Audio- und Videodateien durchsuchbar sein. Über die Geräte könnte man zudem Nachrichten versenden, Dateien teilen und sich in sozialen Netzwerken versammeln. Das nannte er réseau mondiale, ein weltweites Netzwerk.18 In diesen Netzwerken könnte man teilnehmen, applaudieren, Ovationen geben und im Chor singen.19

Paul Otlet und das World Wide Web

Paul Otlets Visionen sind aus meiner Sicht unglaublich nah an der heutigen Welt. Schreibtische mit Bildschirmen, vernetzte Informationen und die Möglichkeit am gesamten Informationsraum teilzuhaben, hören sich für damalige Verhältnisse revolutionär an. Umso ungläubiger macht es mich zum einen, dass seine Arbeit über Jahrzehnte in der Versenkung verschwand und erst durch Rayward Ende der 60er Jahre wiederentdeckt wurde. Zum anderen stimmt es mich nachdenklich, dass das Potenzial dieser Entwicklungen und Gedanken erst so viel später erkannt wurde. Weiter finde ich es erstaunlich, dass das World Wide Web als universeller Informationsraum erst nach so langer Zeit entwickelt wurde. Sicher feilte man über Jahrzehnte an Informationssystemen, das Internet gab es sehr viel früher und auch Hypertext an sich war nicht Tim Berners-Lees Idee. Der technologische Fortschritt hielt sich vermutlich in Grenzen und gesellschaftlich war man eventuell noch nicht bereit. Nichtsdestotrotz sehe ich in Otlets Ideen grundsätzliche Gedanken des World Wide Webs sowie dessen fundamentale Struktur. Daher frage ich mich beispielsweise auch, wieso weniger an offenen als an geschlossenen Systemen gearbeitet wurde, obwohl das Internet schon Jahrzehnte vor dem Web erfunden wurde und wieso der Zugang zu Wissen so lange so sperrig war, obwohl bereits Otlet den einfachen Zugang zu Wissen als wichtigen Bestandteil sah.

Abschließend halte ich Otlet für ein wirkliches Genie, der mit seinen unzähligen Ideen großes in seinem Leben geleistet hat. Wie eingangs erwähnt könnte man sicher ganze Doktorarbeiten über ihn schreiben, da viele seiner Ideen revolutionär waren und man sich alleine mit seinen Publikationen zu Lebzeiten endlos beschäftigen hätte können. Gleichwohl möchte ich an dieser Stelle mit dem Visionär abschließen und mich nach meinem Master möglicherweise noch mit Alex Wrights Buch »Cataloging the World« auseinandersetzen.

Quellen
  1. Vgl. Rayward, Warden Boyd: »Visions of Xanadu: Paul Otlet (1868–1944) and Hypertext« in: »Journal of the American society for information science«, Band 45, Ausgabe 4, S. 235–250, Stand: Mai 1994, URL: https://pdfs.semanticscholar.org/48f4/51ecb5d5241a7780bf07ac15b4e5699c5c41.pdf, S. 238, abgerufen am 28.9.2017.
  2. Vgl. Ebd.
  3. Vgl. Wright Alex: »The web that time forgot«, Stand: 17.6.2008, URL: https://www.nytimes.com/2008/06/17/health/17iht-17mund.13760031.html, Absatz 4, abgerufen am 30.9.2017.
  4. Vgl. Rayward, Warden Boyd: »Visions of Xanadu: Paul Otlet (1868–1944) and Hypertext« in: »Journal of the American society for information science«, Band 45, Ausgabe 4, S. 235–250, Stand: Mai 1994, URL: https://pdfs.semanticscholar.org/48f4/51ecb5d5241a7780bf07ac15b4e5699c5c41.pdf, S. 240, abgerufen am 28.9.2017.
  5. Vgl. Rayward, Warden Boyd: »The legacy of Paul Otlet, pioneer of information science« in: »The Australian Library Journal«, Volume 41, No 2, S. 90–102, Stand: Mai 1992, Online veröffentlicht: 28.10.2013, URL: https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/00049670.1992.10755606, S. 97, abgerufen am 28.9.2017.
  6. Rayward, Warden Boyd: »Visions of Xanadu: Paul Otlet (1868–1944) and Hypertext« in: »Journal of the American society for information science«, Band 45, Ausgabe 4, S. 235–250, Stand: Mai 1994, URL: https://pdfs.semanticscholar.org/48f4/51ecb5d5241a7780bf07ac15b4e5699c5c41.pdf, S. 240, abgerufen am 28.9.2017.
  7. Ebd.
  8. Vgl. Ebd.
  9. Vgl. Rayward, Warden Boyd: »The legacy of Paul Otlet, pioneer of information science« in: »The Australian Library Journal«, Volume 41, No 2, S. 90–102, Stand: Mai 1992, Online veröffentlicht: 28.10.2013, URL: https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/00049670.1992.10755606, S. 98, abgerufen am 28.9.2017.
  10. Ebd.
  11. Vgl. Wright, Alex: »The web that time forgot«, Stand: 17.6.2008, URL: https://www.nytimes.com/2008/06/17/health/17iht-17mund.13760031.html, Absatz 15, abgerufen am 30.9.2017.
  12. Vgl. Ebd., Absatz 16.
  13. Vgl. Rayward, Warden Boyd: »The legacy of Paul Otlet, pioneer of information science« in: »The Australian Library Journal«, Volume 41, No 2, S. 90–102, Stand: Mai 1992, Online veröffentlicht: 28.10.2013, URL: https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/00049670.1992.10755606, S. 99, abgerufen am 28.9.2017.
  14. Vgl. Rayward, Warden Boyd: »Visions of Xanadu: Paul Otlet (1868–1944) and Hypertext« in: »Journal of the American society for information science«, Band 45, Ausgabe 4, S. 235–250, Stand: Mai 1994, URL: https://pdfs.semanticscholar.org/48f4/51ecb5d5241a7780bf07ac15b4e5699c5c41.pdf, S. 235, abgerufen am 28.9.2017.
  15. Vgl. Rayward, Warden Boyd: »The legacy of Paul Otlet, pioneer of information science« in: »The Australian Library Journal«, Volume 41, No 2, S. 90–102, Stand: Mai 1992, Online veröffentlicht: 28.10.2013, URL: https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/00049670.1992.10755606, S. 98, abgerufen am 28.9.2017.
  16. Ebd., S. 99.
  17. Vgl. Ebd.
  18. Vgl. Wright, Alex: »The web that time forgot«, Stand: 17.6.2008, URL: https://www.nytimes.com/2008/06/17/health/17iht-17mund.13760031.html, Absatz 2, abgerufen am 30.9.2017.
  19. Vgl. Ebd., Absatz 24.

Meinungsfreiheit, Algorithmen und Fake News

Anlässlich zum 28. Jahrestag des World Wide Webs erscheint ein Brief von Tim Berners-Lee auf der Webseite der Web Foundation mit dem ich mich kurz auseinandergesetzt habe. In den vergangenen 12 Monaten beobachtet er drei kritische Trends, welche es anzupacken gilt, damit sich Web als Werkzeug für die gesamte Menschheit entfalten kann.

Neben dem Verlust über die Kontrolle unserer Daten, sieht er die Möglichkeit falsche Informationen im Netz zu verbreiten und die Undurchschaubarkeit und das Unverständnis über politische Werbung im Web als kritische Punkte.

Anlässlich des 28. Jahrestags des World Wide Webs erscheint ein Brief von Tim Berners-Lee auf der Webseite der World Wide Web Foundation, mit dem ich mich kurz auseinandergesetzt habe.

Seine ursprüngliche Vorstellung, dass das World Wide Web eine offene Plattform ist, die es jedem ermöglicht von überall Informationen auszutauschen oder über geografische und kulturelle Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten, hat sich seiner Auffassung nach in vielerlei Hinsicht verwirklicht. In den vergangenen 12 Monaten beobachtet er jedoch drei kritische Trends, welche es anzupacken gilt, damit sich das Web als Werkzeug für die gesamte Menschheit entfalten kann.1

Neben dem Verlust über die Kontrolle unserer Daten, sieht er die Möglichkeit falsche Informationen im Netz zu verbreiten und die Undurchschaubarkeit und das Unverständnis über politische Werbung im Web als kritische Punkte.

Die Herausgabe unserer Daten gegen kostenlosen Content ist bereits ein viel diskutiertes Thema. Der Begründer des Webs sieht die Problematik zum einen darin, dass die Daten in Nirgendwo verschwinden und für uns unsichtbar sind. Zum anderen hätten wir Vorteile, wenn wir selbst darüber entscheiden könnten, wann und mit wem sie geteilt werden.2
Als weiteren Kritikpunkt sieht er, dass Regierungen Unternehmen nötigen, um jeden unserer Schritte verfolgen zu können und entwickeln Gesetze, die unser Recht auf Privatsphäre verletzen.3
In meinem Beitrag »Cyberspace als neue Heimat des Geistes« bezweifele ich bereits John Perry Barlows Vorstellung, dass wir unsere Meinung frei äußern können ohne in Schweigen oder Konformität gezwungen zu werden. In einigen Ländern ist die freie Meinungsäußerung nach wie vor sehr gefährlich und selbst in einem vermeintlich liberalen Land wie Deutschland gibt es gehäuft Diskussionen über Meinungsfreiheit und Zensur im Netz. Die nicht vorhandene Konformität sehe ich vor allem durch den entstehenden gesellschaftlichen Druck, wenn Inhalte weit gestreut werden können.
Berners-Lee empfindet vor allem die Tatsache, dass Bürger beobachtet werden als sehr abschreckend auf die freie Meinungsäußerung. Das verhindert, dass das Internet als freier Raum genutzt wird, um wichtige sensible Gesundheitsprobleme, Sexualität oder Religion zu erkunden.4 Dass das World Wide Web nicht frei als Informationsquelle genutzt werden kann bzw. nur mit der Sorge im Hinterkopf, dass jeder Schritt gespeichert wird, verletzt den Ursprungsgedanken des Webs, welches als freier Informationsraum konzipiert wurde.

Der zweite Punkt, den Tim Berners-Lee anspricht, steht aus meiner Sicht dem dritten Punkt sehr nah.
Basierend auf immer besseren Algorithmen werden uns auf Social-Media-Seiten und Suchmaschinen Seiten angezeigt, die uns höchstwahrscheinlich gefallen werden. Pro Klick verdienen die Unternehmen Geld und generell können sich dadurch auch Fake News wie ein Lauffeuer verbreiten. Durch den Einsatz von Data Science oder Bots kann dieses System perfektioniert und mit schlechten Absichten ausgenutzt werden.5
Während ich Nachrichten im Social Media außen vor lasse, möchte ich auf die Schwierigkeit eingehen, welche sich aus meiner Sicht bei Suchmaschinen ergibt. Unabhängig davon welche Suchmaschine man nutzt – primär wird Google wohl die Maschine der Wahl sein –, steckt ein gewinnorientiertes Unternehmen dahinter. Dass die Alphabet Inc. mit ihren Angeboten Geld verdienen möchte, sehe ich generell als nicht allzu problematisch an und daher kann man die Schaltung von Anzeigen bei Google oder die Bevorzugung einzelner Webseiten nicht ankreiden. Nichtsdestotrotz sehe ich das Unternehmen nicht nur in Bezug auf die Speicherung von Daten als kritisch an. Auch die Ausbreitung ihrer Angebote in sämtliche Lebensbereiche finde ich bedenklich, da dadurch sehr viele verschiedene Daten an einer Stelle gespeichert werden und ein ganzheitliches Bild der Menschen abzeichnet. Doch das Hauptproblem liegt nicht darin, dass Alphabet Geld verdienen möchte und das mit einer stetigen Verbesserung ihrer Algorithmen und Angebote auch schafft. Das Problem liegt meiner Ansicht nach in der aktuellen Alternativlosigkeit. Keine Karte zeigt besser den Stau und Alternativrouten an, als Google Maps und wer bietet umsonst eine Suchmaschine an, die bestrebt ist immer bessere Ergebnisse zu liefern? Welche Alternative gäbe es, alle Webinhalte in einer Suchmaschine zu durchforsten, ohne dass irgendjemand am Ende der Leitung Profit daraus schlägt? Sei es finanzieller Natur oder ein staatliches Interesse. Ich spreche mich nicht dafür aus, dass das Alphabet-Universum weiter wachsen soll, indem man sich zurücklehnt und das Ganze akzeptiert. Sämtliche Versuche meinerseits andere Suchmaschinen, Karten oder Kalender zu nutzen scheiterten jedoch mangels guter Alternativen.

Der letzte kritische Trend, den Berners-Lee in seinem Brief aufgreift, setzt sich mit der politischen Werbung im World Wide Web auseinander. Allein bei den US-Wahlen 2016 sind 50.000 verschiedene Anzeigen auf Facebook aufgetaucht. Berners-Lee nennt den Fakt, dass die meisten Menschen Informationen von nur wenigen Plattformen nutzen und die politischen Kampagnen auf Grundlage der persönlichen Daten individualisiert werden können. Neben tatsächlicher Information können auch Fake News so einfach verbreitet werden, dass unterschiedliche Personen jeweils unterschiedliche Aussagen vorfinden.6
Die Verbreitung von Fake News war rundum die US-Wahl ein brisantes Thema und Trump selbst nennt bis dahin als seriös geltende Medienunternehmen Fake Media. Meinem Empfinden nach nutzen Amerikaner soziale Netzwerke noch exzessiver als wir es in Deutschland tun, was die Netzwerke für das Verbreiten von Fake News absolut beliebt macht. Und wenn man den ganzen Tag von Fake News liest, wer weiß schon, was am Schluss wirklich Fake News sind? Wenn ich von zehn unterschiedlichen – bis dahin unbekannten – Nachrichtenunternehmen jeweils dieselbe Nachricht angezeigt bekomme: Glaube ich es irgendwann oder bin ich tatsächlich resistent? Was erstmal wie ein schlechter Witz klingt, kann aus der Ferne aber leider nicht wirklich nachvollzogen oder bewertet werden.

Tim Berners-Lee sieht die Probleme als sehr komplex an und weiß, dass die Lösung nicht einfach sein wird. Erste Ansätze sieht er darin mit den Web-Unternehmen zusammenzuarbeiten, damit ein faires Maß an Datenkontrolle entstehen kann. Zudem sieht er den Kampf gegen die Überwachungsgesetze der Regierung als sehr wichtig. Weiter muss gegen Fehlinformationen vorgegangen werden, in dem »Pförtner« wie Google und Facebook ermutigt werden, sich weiter für die Bekämpfung des Problems einzusetzen, um die Bildung zentraler Organe, die darüber entscheiden was wahr und was falsch ist zu vermeiden. Die Transparenz der Algorithmen ist außerdem essenziell, um zu verstehen wie wichtige Entscheidungen, die unser Leben beeinflussen, gemacht werden.7

Alles in allem sehe ich die kritische Entwicklung ähnlich und das spiegelt auch die Themen wider, über die häufig in den Medien berichtet wird. Beruhigend ist, dass durch den Brief zumindest das Gefühl entsteht, dass dort Leute an einer wichtigen Stelle sitzen, die sich um die Lösung solcher Probleme bemühen. Als einzelner ist das ohne Boykott nur schwierig und nach sämtlichen Datenskandalen hält der Aufschrei ohnehin nur für kurze Zeit an. Bis zum nächsten.

Quellen
  1. Vgl. Berners-Lee, Tim, World Wide Web Foundation: »Three challenges for the web, according to its inventor«, Stand: 12.3.2017, URL: https://webfoundation.org/2017/03/web-turns-28-letter/, Absatz 1, abgerufen am 28.4.2017.
  2. Vgl. Ebd., Absatz 3.
  3. Vgl. Ebd.
  4. Vgl. Ebd., Absatz 4.
  5. Vgl. Ebd., Absatz 3.
  6. Vgl. Ebd., Absatz 5.
  7. Vgl. Ebd., Absatz 6.

Im Galopp zur nächsten Information

Auf Basis der »Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace« möchte ich einen weiteren Einblick über John Perry Barlow erhalten. Dabei bin ich auf den Podcast TWiT.tv von Leo Laporte aus dem Jahr 2010 gestoßen. Gemeinsam mit Tom Merritt spricht er in »TWiT Live Specials 43: Live With John Perry Barlow« mit dem Bürgerrechtler und Songtexter John Perry Barlow über die »Electronic Frontier Foundation«, die Freiheit im Internet sowie die Unabhängigkeitserklärung selbst. Leider wird letzteres eher angeschnitten als wirklich besprochen, so dass ich aus dem Podcast keinen wirklichen Benefit für meine Arbeit ziehen kann. Nichtsdestotrotz äußert Barlow interessante Gedanken, welche ich kurz dokumentieren möchte.

Nach der Behandlung der »Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace« möchte ich einen weiteren Einblick über John Perry Barlow erhalten. Dabei bin ich auf den Podcast TWiT.tv von Leo Laporte aus dem Jahr 2010 gestoßen. Gemeinsam mit Tom Merritt spricht er in »TWiT Live Specials 43: Live With John Perry Barlow« mit dem Bürgerrechtler und Songtexter John Perry Barlow über die Electronic Frontier Foundation, die Freiheit im Internet sowie die Unabhängigkeitserklärung selbst. Leider wird letzteres eher angeschnitten als wirklich besprochen, so dass ich aus dem Podcast keinen wirklichen Benefit für meine Arbeit ziehen kann. Nichtsdestotrotz äußert Barlow interessante Gedanken, welche ich kurz dokumentieren möchte.

In Bezug auf die Unabhängigkeitserklärung und Regierung verfestigt er seine Meinung, dass man zu einem großen Schöpfer der Umgebung wird, in der man selbst geformt wird. Seinem Empfinden nach, sind die meisten innerhalb der Regierung unter anderen Umständen geformt worden als die Leute, die die meiste Zeit virtuell verbringen.1

Weiter merkt er an, dass es durch z. B. Wikipedia möglich geworden ist, dass man für die meisten Dinge, für die es eine Wahrheit gibt, auch eine Wahrheit kennen kann. Nach ihm ist die Voraussetzung, wie wir Wahrheit und Realität verstehen, Dinge einer maximalen Wahrnehmung auszusetzen und dann einen gemeinsamen Konsens zu finden. Speziell bei Wikipedia muss er daher keinen Zweifel daran haben, dass eine Antwort nicht stimmt. Was er nicht berücksichtigt hatte ist, dass viele Leute die Wahrheit nicht kennen wollen oder sogar glücklich sind vorsätzlich falsche Informationen zu streuen, weil es ihnen hilft.2
Zudem ist er überzeugt davon, dass wir besser darin werden, schlechte und gute Informationen unterscheiden zu können. Momentan (2010) sieht er uns noch als kulturelles Äquivalent eines 13 1/2-jährigen.3

Twitter hält er nicht für ein nützliches, revolutionäres Tool, da eine Revolution eine Ausdauer von Absichten, Verbindungen und konzeptioneller Integrität benötigt. Das setzt voraus, dass man eine große Aufmerksamkeitsspanne hat, welche es in Twitter so nicht gibt.4 Das Internet spielte laut ihm dennoch eine fundamentale Rolle dabei, dass Obama gewählt wurde. Seine Administration hätte es aber nicht auf eine nützliche Art und Weise genutzt, weil noch keiner weiß, wie das geht. Wir wären noch am Beginn und müssen das alles noch herausfinden.5 Aus heutiger Sicht kann man sich spätestens seit der Wahl Trumps sicher sein, dass hier schon einiges hinzugelernt wurde.

Dennoch glaubt er an eine Umgebung, in der jeder etwas sagen möchte, auch etwas sagen kann. Und jeder, der zuhören möchte, auch zuhören kann. Darin hat sich seine Vision vom Internet in den letzten 25 Jahren nicht geändert und die Leute können selbst aussortieren, was sie hören wollen und was nicht.6

Gegen Ende des Gesprächs erzählt Barlow von seiner Mutter, welche damit startete, dass die schnellste Möglichkeit an Informationen zu kommen die war, ein Pferd im Galopp zu reiten. Es endete damit, dass sie die ganze Zeit E-Mails schrieb. Daran kann man die tiefgreifende Transformation in der Informationstechnologie erkennen und wenn sie nun Geschichten erzählte, war die Technologie unsichtbar. Da es um das Gespräch ging und nicht um das Telefon.7

Abschließend ist es schade, dass kaum weitere Gedanken im Bezug auf die Unabhängigkeitserklärung zu hören waren. Nichtsdestoweniger war es ein spannender Podcast, da ich Barlow zum ersten Mal sprechen sehen habe und es großartig ist, was für weise Aussagen er mit seiner jahrelangen Erfahrung und dem vielen Wissen über das Web trifft.

Quellen
  1. Vgl. Barlow, John Perry, TWiT Netcast Network: »TWiT Live Specials 43: Live With John Perry Barlow«, Stand: 21.10.2010, URL: https://www.youtube.com/watch?v=c2U-6tHE3Wg, TC: 00:05:40–00:06:06, abgerufen am 17.4.2017.
  2. Vgl. Ebd., TC: 00:07:55–00:09:00.
  3. Vgl. Ebd., TC: 00:13:05–00:13:22.
  4. Vgl. Ebd., TC: 00:14:18–00:14:50.
  5. Vgl. Ebd., TC: 00:18:22–00:18:40.
  6. Vgl. Ebd., TC: 00:41:30–00:41:55.
  7. Vgl. Ebd., TC: 00:42:40–00:43:20.

Zwischen Realität und Fiktion

Im Bereich transmedialer Erzählungen finde ich besonders das Verschwimmen von Realität und Fiktion spannend. Die parasoziale Kommunikation spielt dabei aus meiner Sicht keine unwichtige Rolle. Neben den möglichen Gefahren und der damit zu Grunde liegenden Verantwortung des Gestalters, eröffnen sich neue Möglichkeiten. Des Weiteren wird zukünftig die Medienkompetenz als solches eine immer größere Rolle spielen.

Im Bereich transmedialer Erzählungen finde ich besonders das Verschwimmen von Realität und Fiktion spannend.

Aus meiner Sicht fällt es heutzutage schwer, virtuelle Inhalte nicht mit fiktionalen zu verwechseln. Virtuelle, entmaterialisierte Gegebenheiten sind als Objekt nicht greifbar, stellen aber dennoch den – berechtigten – Anspruch real zu sein.  

Die Wirklichkeit kann laut dem Informationsphilosophen Luciano Floridi – weit gefasst – als Synonym der Infosphäre verwendet werden. Die Infosphäre beschreibt dabei den Raum, in dem alle informationellen Existenzen angesiedelt sind. Hierzu gehört der Mensch als informationelles Wesen, aber beispielsweise auch Interaktionen, Algorithmen und Prozesse.1 Die »virtuelle« Welt ist damit wirklich.

Ich beobachte in sozialen Netzwerken wie z. B. Facebook, dass wir Nutzer unser virtuelles Ich erstellen und entwerfen. Die digitalen Versionen unser selbst, die ich an dieser Stelle nicht nach Identität oder verzerrten Selbstbildern hinterfragen möchte. Einen viel entscheidenderen Faktor finde ich die „Nicht-Prüfbarkeit“ der Existenz des Gegenübers. Während Personen des öffentlichen Lebens teilweise verifiziert sind, trifft das – meiner Einschätzung nach – nur auf einen kleinen Teil der gesamten Community zu. Das bedeutet, wir müssen uns auf die Authentizität anderer und auf unsere eigene Einschätzung verlassen. Bei Freunden aus dem »realen« Leben ist das meiner Erfahrung nach kein Problem. Mit etwas Kritikfähigkeit sehe ich auch wenig Gefahr, dass einem Unbekannten blind vertraut wird. Mit einer Portion Naivität und gut durchdachten Anstrengungen des Gegenübers authentisch zu sein, kann es jedoch durchaus vorkommen, dass der Wahrheitsgehalt nicht in Frage gestellt wird.

An dieser Stelle möchte ich die parasoziale Kommunikation ins Spiel bringen, deren Einsatz ich im Bereich transmedialer Erzählungen besonders spannend finde.
Innerhalb dieses Formats kann diese Art der Kommunikation eine Interaktion zwischen dem Zuschauer und fiktiven Figuren aus Erzählungen sein. Der Aufbau einer solch‘ »vertrauten« Beziehung wird unter anderem durch soziale Netzwerke ermöglicht, in denen Figuren, die man immerhin schon aus einem anderen Format wie der Serie »kennt«, ein Profil besitzen. Bei Facebook beispielsweise posten sie nicht nur scheinbar selbst, sondern chatten aktiv mit den Nutzern. Sie reagieren damit unmittelbar auf den Zuschauer und verhalten sich aus technischer Sicht wie »normale Freunde« deren Posts man lesen, liken, teilen oder denen man private Nachrichten schreiben kann.2 Laut Dennis Eick werden die Figuren »Teil der sozialen Realität des Zuschauers«.3 Realität und Fiktion verschwimmen hier teilweise massiv.

Die parasoziale Kommunikation gibt es zwar nicht erst seit dem World Wide Web und den sozialen Netzwerken. Jedoch wird diese einseitige Beziehung aus meiner Sicht dadurch begünstigt, dass sich gewisse Dinge im Virtuellen nicht sonderlich voneinander unterscheiden. Aus technischer Sicht sind die Profile der Figuren und die der »wirklichen« Freunde erstmal gleich. Auch die Tatsache Fiktionales als Wirkliches darstellen zu wollen ist nichts Neues, kann aber innerhalb transmedialer Erzählungen sicher deutlich weiter gesponnen werden. Inwiefern das passieren kann, wird eine Fragestellung der kommenden Wochen sein.

Im Fall der crossmedialen Erzählung »About:Kate« (About: Kate ›Wann haben Sie bemerkt, dass Sie nicht mehr wissen, wer Sie sind‹ »)war die Resonanz in Facebook groß. Viele Zuschauer, die nicht verstanden hatten, dass es eine Inszenierung war, begannen ihr persönliches Leid in privaten Nachrichten zu schreiben. Neben dem großen Arbeitsaufwand für das Aufrechterhalten der Profile, bestand die Herausforderung darin, mit diesen Menschen richtig umzugehen. Denn immerhin war das Ganze nur eine Inszenierung und keine Einladung auf die Couch des Psychiaters. Letztendlich war es schwierig den Zuschauern klar zu machen, dass die Facebook-Figuren keine realen Gesprächspartner sind, wie die Regisseurin Janna Nandzik bei der Cologne Conference 2014 berichtet.

Zum einen stellt sich mir hier die Frage, wie viel moralische Verantwortung in den Händen von Gestaltern, Regisseuren, Produzenten und so weiter liegt, solche Interaktionen zu ermöglichen und einzubinden. Zum andern welchen Stellenwert eine gut entwickelte Medienkompetenz zukünftig haben wird, um klare Unterscheidungen zwischen realen und fiktionalen Inhalten treffen zu können. Denn auch der Zuschauer selbst hat aus meiner Sicht die verantwortungsvolle Rolle, kritisch mit neuen Medien umzugehen. Mit diesen und anderen Fragen möchte ich mich in den kommenden Monaten auseinandersetzen.

Auf Grundlage der bisherigen Recherche denke ich, dass durch das Vermischen der virtuellen und nicht-virtuellen Welten in einer Infosphäre, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion immer schwammiger werden. Trotz der erwähnten Gefahren eröffnen sich damit aus meiner Sicht völlig neue Möglichkeiten der transmedialen – oder bis dahin anders benannten – Erzählung.

In einem weiteren Beitrag möchte ich mich der filmischen Immersion widmen, sowie der Immersion der virtuellen Realität, die meiner Ansicht nach sehr nahe an der parasozialen Kommunikation liegen.

Quellen
  1. Vgl. Floridi, Luciano: »Die 4. Revolution – Wie die Infosphäre unser Leben verändert«, Berlin 2015, S. 64.
  2. Vgl. Eick, Dennis: »Digitales Erzählen – Die Dramaturgie der neuen Medien«, Konstanz und München 2014, S. 47.
  3. Ebd.

Dragan Espenschied & Olia Lialina: »Once Upon«

In ihrem Projekt »Once Upon« bauen Olia Lialina und Dragan Espenschied vier verschiedene soziale Netzwerke so nach, wie sie 1997 hätten sein können. Dabei wird nur die Technologie genutzt, die tatsächlich möglich war.

Mit »Once Upon« versetzen Olia Lialina und Dragan Espenschied 2011 die drei sozialen Netzwerke Facebook, Google+ und YouTube zurück ins Jahr 1997. 2012 kommt Pinterest als viertes Netzwerk hinzu. Alle Netzwerke sind nach den Möglichkeiten im Jahr 1997 aufgebaut und funktionieren tatsächlich. So sind beispielsweise die Google-Kreise keine Kreise, sondern eine Anordnung eckiger Tabellen-Elemente und auf Grund technischer Begrenzung kann man bei Facebook nur 16 Freunde haben.1

Wie Olia Lialina in dem auf Vimeo zu sehenden Vortrag (Zum Vortrag ») bei der »Unlike Us Amsterdam #2« selbst erzählt, war 1997 ein bedeutendes Jahr in der Geschichte des Webs und ausschlaggebend für die Wahl des Jahres. Die dot.com-Manie bricht aus und läutet – technologisch und gesellschaftlich – den Beginn der Zukunft ein. Es herrscht die Euphorie, dass nun etwas Großes los geht oder dass nun z. B. jeder reich werden kann. Mit dem Netscape Communicator kommt ein Browser auf den Markt, der erste Applikationen erlaubt, wenn auch noch auf einem niedrigen Level. Dinge wie z. B. Real-Time-Kommunikation liegen zwar noch in der Zukunft, aber erste Erfahrungen kommen auch in dieser Zeit zu Stande. Deshalb verändert sich das Jahr der Netzwerke nie – es bleibt immer das Jahr 1997.2

Die Plattformen

Facebook

An dieser Stelle möchte ich primär auf die Netzwerke selbst eingehen. Hintergründe und Vorüberlegungen sind im Vimeo-Beitrag zu sehen.
In Facebook ist man grundsätzlich als Gast unter dem Namen Jennyxxxxx (xxxxx = eine sich ändernde Zahl) unterwegs. Der Bildschirm ist in drei Bereiche aufgeteilt: Am oberen Bildschirmrand ist die für Facebook typische blaue Leiste zu sehen. Außerdem sieht man zum einen den Bereich des eigenen Ichs Jenny, sowie einen durch Frames aufgeteilten Bereich, der 16 Freunde beinhaltet. Im eigenen Bereich ist links eine Spiralbindung zu sehen, grafisch ist diese Darstellung von »echten Gegenständen im Internet« nicht untypisch für die »90er« (, die laut Olia Lialina viel zu oft pauschal als die »90er« beschrieben werden, obwohl das Jahrzehnt viel detaillierter zu betrachten ist). Der Bereich der Freunde ist durch die Grafik einer Ziegelsteinmauer hinterlegt – die Facebook-Wall, die im Grunde eher dem News-Feed gleichzusetzen ist. In Bezug auf die Facebook-Begrifflichkeiten wäre der Wall-Hintergrund oder im deutschen ein Pinnwand-Hintergrund an Stelle des »Spiralbindung-Buchs« denkbar. Seit der Umbenennung zur Chronik ist es aber so sicher passender. 
Man kann selbst etwas im Netzwerk posten (»Submit« anstelle von »Post«) oder – wie typisch für Formulare – die »Clear«-Funktion nutzen. Man kann Beiträge seiner Freunde sehen und für sie voten –  unterstützt von einer anschließenden Feuerwerk-Animation. Die Profilbilder bestehen aus einer schönen Mischung charmanter 90er-Animationen, Cliparts oder z. B. Fotos. 

Google+

Dieselbe Mischung an Fotos sieht man auch in seinem Google+-Profil. Dort hat man im Header-Bereich, wo auch das Logo, die Suche, sowie der Hinweis, dass man als Jennyxxxxx eingeloggt ist, eine Auswahl zwischen »Users«, »Messages« und »YourProfil«. Folgend kommt ein Bereich der vorhandenen User, inklusive Dropdown-Auswahl, um selektierte User einem Kreis hinzuzufügen. Am unteren Bildschirmrand sieht man den Bereich der Kreise, die aus technischen Gründen eher einem »quadratischen Kreis« entsprechen. 16 Quadrate stellen den Kreis dar, in dem schon die ersten User zu sehen sind, in der Mitte davon sieht man die Art des Kreises, z. B. »colleagues«. Außerdem kann man natürlich noch einen neuen Kreis erstellen. 

YouTube

Die Video-Plattform YouTube ist vertikal in drei Bereiche eingeteilt, von denen die zwei äußerem Frames mit einem roten Vorhang hinterlegt sind. Durch die »Frames-Rahmen« kann man so den Vorhang auf- und zu ziehen. Der mittlere Bereich ist horizontal in drei Bereiche eingeteilt. Der oberste Bereich enthält wieder das Logo, die Suchfunktion, sowie den Namen des eingeloggten Users. Im mittleren Bereich ist das Video selbst zu sehen sowie der Titel, Benutzername und das Datum. Im letzten Bereich ist eine Auswahl an verschiedenen Video-Containern, Codecs und Bandbreiten möglich. Das ist auch darauf bezogen, dass damals eine Unmenge verschiedener Formate vorhanden war. Zwar gibt es noch heute verschiedene Formate und Codecs, jedoch haben sich wenige Standards für die Darstellung im Web durchgesetzt. Noch immer wird aber nicht jedes Format in jedem Browser dargestellt und verschiedene Versionen werden benötigt. Man kann übrigens einen FTP-Zugang beantragen, um tatsächlich Videos hochzuladen!

Pinterest

Als Nachzügler kam Pinterest als viertes Netzwerk hinzu. Pinterest ist vertikal in zwei Hauptbereiche aufgeteilt. Im linken Bereich befindet sich das Logo, der Hinweis als welcher Nutzer man online ist, ein Design- und Pin-Button, sowie eine Auswahl an Kategorien und Nutzer. Im rechten Bereich findet man nach einem Willkommenstext, sowie der Aufforderung sich einen Account anzulegen, die Bilder aller Nutzer. Die Bilder sind untereinander dargestellt, da die typische masonry-Pinterest-Darstellung erst später möglich war. Über den »Design«-Button kann man einen persönlichen Hintergrund aus einer Auswahl von Tapeten wählen. Mit dem »Pin«-Button tatsächlich Bilder pinnen, einen dazugehörigen Rahmen auswählen, sowie das Ganze im nächsten Schritt in die richtige Kategorie einordnen.

Besonders spannend finde ich bei diesem Projekt zum einen die Liebe zum Detail bei der Frage, was damals alles möglich war. Zum anderen die amüsanten Zusätze, die sich in den Grundfunktionen zwar aus meiner Sicht etwas zum Original unterscheiden, sich aber sinngemäß perfekt eingliedern: YouTube besitzt beispielsweise einen auf Frames basierten roten Vorhang und Pinterest beinhaltet die Funktion, dass eine Auswahl verschiedener »Tapeten« vorhanden ist, um sie als persönlichen Hintergrund einzustellen. Hier wird aus meiner Sicht – unwissend, ob überinterpretiert – ein hervorragender Bezug dazu hergestellt, wie die Medienwelt für die Gesellschaft funktioniert hat. So war das soziale Erlebnis »Filme schauen« noch eher eine Sache, die im Kino stattfand. »Bilder schauen« war ein Teil des heimischen Wohnzimmers. Zwar war das Hochladen von Fotografien grundsätzlich schon möglich und wurde teilweise schon betrieben, aber es gab nicht im Ansatz die Verbreitung von heute. Fotos konnten nicht einfach via Facebook hochgeladen werden und selbst das Verschicken über das Handy via MMS war erstmals im November 2002 möglich.3 Auch die Zustimmung in Form eines »Like« gab es nicht. Daher finde ich es großartig, dass selbst dieser Button im Facebook 1997 zum »Vote«-Button umgedacht wurde – unterstützt von der anschließenden Feuerwerk-Animation.
Olia Lialina weist in ihrem Vortrag darauf hin, dass selbst die Servergeschwindigkeit auf 8 kB gedrosselt wurde, um die Nutzererfahrung zu verbessern. Auch das sehe ich als einen genialen Einfall, der grundsätzlich natürlich naheliegend ist. Heutzutage können wir uns nicht einmal mehr im Ansatz vorstellen, wie langsam das Internet damals war, nachdem man sich mühevoll unter lauter Kulisse eingewählt hat. Insgesamt halte ich es für ein großartiges Konzept, die Netzwerke bzw. generell die Möglichkeiten unserer Zeit »zurückzudenken«. 

Quellen
  1. Vgl. Vortrag vom 9.3.2012 von Olia Lialina auf Vimeo, network cultures: »Imaginary Origins of Social Networks«, im Rahmen der »Unlike Us Amsterdam #2«, URL: https://vimeo.com/38840992, abgerufen am 17.10.2015.
  2. Vgl. Ebd.
  3. Vgl. Mielke, Bernd: »MMS in Deutschland«, URL: http://www.dafu.de/mms/mms-d.html, abgerufen am 18.10.2015.
Abbildungen
  1. Titelbild: Eigener Screenshot; Lialina, Olia; Espenschied, Dragan: »Once Upon«, URL: http://www.1x-upon.com/, abgerufen am: 13.10.2015.