Zwischen Realität und Fiktion

Im Bereich transmedialer Erzählungen finde ich besonders das Verschwimmen von Realität und Fiktion spannend.

Aus meiner Sicht fällt es heutzutage schwer, virtuelle Inhalte nicht mit fiktionalen zu verwechseln. Virtuelle, entmaterialisierte Gegebenheiten sind als Objekt nicht greifbar, stellen aber dennoch den – berechtigten – Anspruch real zu sein.  

Die Wirklichkeit kann laut dem Informationsphilosophen Luciano Floridi – weit gefasst – als Synonym der Infosphäre verwendet werden. Die Infosphäre beschreibt dabei den Raum, in dem alle informationellen Existenzen angesiedelt sind. Hierzu gehört der Mensch als informationelles Wesen, aber beispielsweise auch Interaktionen, Algorithmen und Prozesse.1 Die »virtuelle« Welt ist damit wirklich.

Ich beobachte in sozialen Netzwerken wie z. B. Facebook, dass wir Nutzer unser virtuelles Ich erstellen und entwerfen. Die digitalen Versionen unser selbst, die ich an dieser Stelle nicht nach Identität oder verzerrten Selbstbildern hinterfragen möchte. Einen viel entscheidenderen Faktor finde ich die „Nicht-Prüfbarkeit“ der Existenz des Gegenübers. Während Personen des öffentlichen Lebens teilweise verifiziert sind, trifft das – meiner Einschätzung nach – nur auf einen kleinen Teil der gesamten Community zu. Das bedeutet, wir müssen uns auf die Authentizität anderer und auf unsere eigene Einschätzung verlassen. Bei Freunden aus dem »realen« Leben ist das meiner Erfahrung nach kein Problem. Mit etwas Kritikfähigkeit sehe ich auch wenig Gefahr, dass einem Unbekannten blind vertraut wird. Mit einer Portion Naivität und gut durchdachten Anstrengungen des Gegenübers authentisch zu sein, kann es jedoch durchaus vorkommen, dass der Wahrheitsgehalt nicht in Frage gestellt wird.

An dieser Stelle möchte ich die parasoziale Kommunikation ins Spiel bringen, deren Einsatz ich im Bereich transmedialer Erzählungen besonders spannend finde.
Innerhalb dieses Formats kann diese Art der Kommunikation eine Interaktion zwischen dem Zuschauer und fiktiven Figuren aus Erzählungen sein. Der Aufbau einer solch‘ »vertrauten« Beziehung wird unter anderem durch soziale Netzwerke ermöglicht, in denen Figuren, die man immerhin schon aus einem anderen Format wie der Serie »kennt«, ein Profil besitzen. Bei Facebook beispielsweise posten sie nicht nur scheinbar selbst, sondern chatten aktiv mit den Nutzern. Sie reagieren damit unmittelbar auf den Zuschauer und verhalten sich aus technischer Sicht wie »normale Freunde« deren Posts man lesen, liken, teilen oder denen man private Nachrichten schreiben kann.2 Laut Dennis Eick werden die Figuren »Teil der sozialen Realität des Zuschauers«.3 Realität und Fiktion verschwimmen hier teilweise massiv.

Die parasoziale Kommunikation gibt es zwar nicht erst seit dem World Wide Web und den sozialen Netzwerken. Jedoch wird diese einseitige Beziehung aus meiner Sicht dadurch begünstigt, dass sich gewisse Dinge im Virtuellen nicht sonderlich voneinander unterscheiden. Aus technischer Sicht sind die Profile der Figuren und die der »wirklichen« Freunde erstmal gleich. Auch die Tatsache Fiktionales als Wirkliches darstellen zu wollen ist nichts Neues, kann aber innerhalb transmedialer Erzählungen sicher deutlich weiter gesponnen werden. Inwiefern das passieren kann, wird eine Fragestellung der kommenden Wochen sein.

Im Fall der crossmedialen Erzählung »About:Kate« (About: Kate ›Wann haben Sie bemerkt, dass Sie nicht mehr wissen, wer Sie sind‹ »)war die Resonanz in Facebook groß. Viele Zuschauer, die nicht verstanden hatten, dass es eine Inszenierung war, begannen ihr persönliches Leid in privaten Nachrichten zu schreiben. Neben dem großen Arbeitsaufwand für das Aufrechterhalten der Profile, bestand die Herausforderung darin, mit diesen Menschen richtig umzugehen. Denn immerhin war das Ganze nur eine Inszenierung und keine Einladung auf die Couch des Psychiaters. Letztendlich war es schwierig den Zuschauern klar zu machen, dass die Facebook-Figuren keine realen Gesprächspartner sind, wie die Regisseurin Janna Nandzik bei der Cologne Conference 2014 berichtet.

Zum einen stellt sich mir hier die Frage, wie viel moralische Verantwortung in den Händen von Gestaltern, Regisseuren, Produzenten und so weiter liegt, solche Interaktionen zu ermöglichen und einzubinden. Zum andern welchen Stellenwert eine gut entwickelte Medienkompetenz zukünftig haben wird, um klare Unterscheidungen zwischen realen und fiktionalen Inhalten treffen zu können. Denn auch der Zuschauer selbst hat aus meiner Sicht die verantwortungsvolle Rolle, kritisch mit neuen Medien umzugehen. Mit diesen und anderen Fragen möchte ich mich in den kommenden Monaten auseinandersetzen.

Auf Grundlage der bisherigen Recherche denke ich, dass durch das Vermischen der virtuellen und nicht-virtuellen Welten in einer Infosphäre, die Grenzen zwischen Realität und Fiktion immer schwammiger werden. Trotz der erwähnten Gefahren eröffnen sich damit aus meiner Sicht völlig neue Möglichkeiten der transmedialen – oder bis dahin anders benannten – Erzählung.

In einem weiteren Beitrag möchte ich mich der filmischen Immersion widmen, sowie der Immersion der virtuellen Realität, die meiner Ansicht nach sehr nahe an der parasozialen Kommunikation liegen.

Quellen
  1. Vgl. Floridi, Luciano: »Die 4. Revolution – Wie die Infosphäre unser Leben verändert«, Berlin 2015, S. 64.
  2. Vgl. Eick, Dennis: »Digitales Erzählen – Die Dramaturgie der neuen Medien«, Konstanz und München 2014, S. 47.
  3. Ebd.