Vor kurzem bin ich auf die interaktive Webdokumentation »Bear 71« von Leanne Allison und Jeremy Mendes aufmerksam geworden, welche vom »National Film Board of Canada« (NFB) mitgestaltet und -produziert wurde. Auch »Fort McMoney« wurde vom NFB koproduziert, welches grundsätzlich solche Formate unterstützt. Die Dokumentation ist aus dem Jahr 2012, im März 2017 wurde die VR-Version veröffentlicht.
Die Erzählung
Die Basis von Bear 71 bildet eine 360°-Karte, die ein Stück Wildnis im Banff Nationalpark in der kanadischen Provinz Alberta abbildet. Auf ihr sieht man beispielsweise die Orte, wo Kameras installiert sind oder wie sich einzelne, markierte und getrackte Tiere durch die Landschaft bewegen. Die Markierungen sind klickbar und man erhält dadurch weitere Informationen über einzelne Tiere oder Videoeinspieler der installierten Kameras.
Direkt zu Beginn – noch bevor man auf die Karte gelangt – wird ein Video eingespielt, das zeigt wie ein Grizzlybär betäubt und markiert wird und eine Nummer erhält: Nummer 71. Dargestellt durch eine weibliche Stimme, erzählt Bär Nummer 71 von hier an aus der Ich-Perspektive. In elf Erzählabschnitten berichtet der Bär aus dem Leben in der Wildnis, dem Zusammenleben mit dem Menschen und welche Gefahren die Zivilisation für die Wildnis mit sich bringt. Als beliebter Ferienort bleibt der Banff Nationalpark nicht frei von Müll, so dass Grizzlies beispielsweise Marshmallows zum Essen finden. Auch Straßen, die von Trucks befahren werden, sind eine große Gefahr für die Bären sowie alle anderen Tiere, die im Park leben. Ein etwas paradoxer Videoeinspieler einer installierten Kamera bringt dieses Zusammenspiel auf den Punkt: Ein Grizzlybär nähert sich der Kamera, während eine andere Szene – an der exakt gleichen Stelle – Touristen zeigt, die sich mit aufblasbaren Gummitieren und Badekleidung auf den Weg in den Park machen.
Bär Nummer 71 klagt darüber, dass sie den Menschen nichts tun würden und berichtet von einem wunderschönen Tag, an dem dieser mit einem anderen Bären nur Beeren aß. Fälschlicherweise wird oder wurde die Unterart des Braunbärs tatsächlich als tödliche Gefahr angesehen. Obwohl es zu tödlichen Unfällen mit z. B. verletzten Tieren oder welchen mit Jungtieren kommt, entfernen sie sich grundsätzlich vom Menschen.
Der Sound
Der Sound, der durchgängig unterlegt ist, erinnert mich offen gesagt an die Hintergrundmusik aus Konsolenspielen der 90er Jahre. Er klingt nur sehr viel dumpfer, langsamer und dramatischer. Mir ist jedoch unklar, ob er zufällig so ausgewählt wurde oder bewusst an ein Spiel erinnern soll. Ein Spiel, in dem der Mensch die Oberhand behält und mit den Tieren spielt – sie markiert, exakt trackt, verfolgt, kontrolliert und grundsätzlich jederzeit seine Macht ausnutzen kann.
Resümee
Insgesamt halte ich die Dokumentation für sehr gelungen. Ich finde es großartig, dass die Situation aus der Ich-Perspektive erzählt wird und der Bär somit eine menschliche Persönlichkeit erhält. Zudem gefällt mir die interaktive Komponente, die es mir erlaubt die Information auf der Karte zu erkunden sowie die Erzählabschnitte, welche aus meiner Sicht nicht in der aufgelisteten Reihenfolge gehört werden müssen. Die Abschnitte sind in sich geschlossen, so dass man jederzeit »querhören« kann. In Bezug darauf ist mir jedoch die Navigation nicht ganz klar. Manchmal starten Abschnitte während ich auf Tiere in der Karte klicke, so dass ich zunächst den Eindruck hatte, dass hier zusätzliche, kleine Geschichten erzählt werden. Anschließend war ich mir nicht sicher, ob es nicht doch Teil der großen Erzählung war und erst recht nicht, was ich nun gehört hatte oder nicht. Neben diesem Punkt hat mich die VR-Komponente nicht ganz überzeugt. Mit der Google Cardboard kann ich mich zwar ringsum auf der Karte umschauen, hätte mir aber gewünscht, dass beispielsweise auch 360°-Videos gezeigt werden. Aktuell ist eher eine Art Leinwand innerhalb der virtuellen Realität zu sehen, auf der das Video gezeigt wird. Mir ist jedoch bewusst, dass die Dokumentation eine Neuauflage einer bereits 2012 veröffentlichten Version ist und die Technik damals noch nicht so zugänglich war wie heute. Die zwei negativen Aspekte ändern für mich aber nicht den insgesamt sehr guten Eindruck, sondern wären lediglich Verbesserungsvorschläge, um die Erzählung noch attraktiver zu machen.
Abbildungen
- Titelbild: Eigener Screenshot; Allison Leanne; Jeremy Mendes, National Film Board of Canada, »Bear 71«, URL: https://bear71vr.nfb.ca, abgerufen am 27.5.2017.
- Eigener Screenshot; Allison Leanne; Jeremy Mendes; National Film Board of Canada, »Bear 71«, URL: https://bear71vr.nfb.ca, abgerufen am 27.5.2017.
- Ebd.
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