Von der Kultur, die statisch wurde

»New Forum« ist ein Magazin des NRW-Forum Düsseldorfs, das erstmals zur Ausstellung »Ego Update«, die vom 19.9.2015–17.1.2016 stattfindet, erscheint. Sabria David beschreibt dabei in ihrem Essay »ALLES FLIESST – Konstanten einer liquiden Gesellschaft« wie »Digitale Medien […] derzeit die Dinge in Bewegung bringen«1.

Erzählungen gibt es im Grunde schon immer. Während sie vor der Erfindung der Schrift einen dynamischen Prozess einer gewissen Veränderbarkeit durchliefen, wurde unsere Kultur – so Sabria David –durch den Buchdruck »statisch« und vor allem »zeit- und ortsunabhängig«. Zuvor war sie noch »offen« und »beweglich« und »hatte flexible Strukturen«.2
Des Weiteren erläutert sie, dass Wissen, das nicht von »Generation zu Generation weiterzählt« wird ausstirbt, da es nicht »materialisiert« ist.3

Hier sehe ich eine Parallele zur heutigen Zeit und dem darin vorherrschenden digitalen Gedächtnisverlust. Der Informationsphilosoph Luciano Floridi erläutert dies genauer in seinem Buch »Die 4. Revolution«. So kann dieser Gedächtnisverlust zum einen dadurch zu Stande kommen, dass alte Technologien nicht mehr nutzbar sind4 oder Daten von einer alten Technologie (z. B. Diskette) nicht in eine neue Technologie (z. B. CD) übernommen werden. Zusätzlich findet eine ständige Überspeicherung von z. B. Webseiten statt5, so dass Dokumente in einen Zustand der Geschichtslosigkeit geführt werden. Zum einen dadurch, dass Differenzen gelöscht werden, zum anderen, weil die Vergangenheit immer wieder neu geschrieben wird. Das digitale Gedächtnis scheint damit flüchtig wie die mündliche Kultur.6 Zwar ist Information nicht gleich Wissen, dennoch ist in diesen »Daten« aus meiner Sicht unheimlich viel Wissen verankert.

In Bezug auf Erzählungen ist meine Hauptessenz die, dass Geschichten nicht immer statisch waren. Das bedeutet für mich – wenn auch nicht als neue Erkenntnis –, dass im Gegensatz zu der »gehypten« non-linearen Erzählung, die lineare nicht die ursprüngliche Form der Erzählung war. Viel mehr sind es die angesprochenen dynamischen Prozesse der Veränderbarkeit, die wir auch aus eigenen Erzählungen kennen, da die Geschichte nicht immer gleich erzählt wird. Zwar ist in meinem Empfinden eine Alltagserzählung von Erzählungen zu unterscheiden, die von Autoren als Erzählung aufgebaut werden. Dennoch finde ich diesen Gedanken im Bezug auf heutige Erzählungen, in denen der Rezipient teilweise Teil der Geschichte wird, sehr spannend.
Den Bezug zu Floridi stelle ich deshalb her, da Sabria David beschreibt, dass sich die Gesellschaft gewissermaßen verflüssigt und der »Weg für eine Reorganisation frei« ist, »für die Herausbildung neuer, angemessener Strukturen und für neue Kulturtechniken«.7 Ich glaube, dass in dieser liquiden Gesellschaft nicht nur eine Reorganisation stattfindet, sondern, dass sich die Strukturen generell fortwährend flexibel ändern, Dinge sich verknüpfen, entknüpfen und neuverknüpfen. Im Bezug auf Floridi, zumindest im weitesten Sinne, könnte dies bedeuten, dass auch hier eine Art Geschichtslosigkeit, eine ständige Neuverknüpfung der Strukturen ohne ein Vorher und Nachher stattfinden kann. Das wäre auch ein interessanter Anhaltspunkt für das Erzählen von Geschichten, die sich ständig weiterentwickeln, neuverknüpfen und grundsätzlich kein Ende finden. Kein Haupt-, Mittel- und Schlussteil, keine Beschränkung auf bestimmte Medien, sondern ein wachsendes Patchwork. Eine sich immer fortwährend verändernde Erzählung. Eine neverending story. Dabei bleibt nur noch die Frage offen, ob hier nicht die Grundsätze der Erzählung in Frage gestellt werden.

Quellen
  1. David, Sabria: »ALLES FLIESST – Konstanten einer liquiden Gesellschaft« in: NEW FORUM »Alles, was das Internet schon immer über sie wissen wollte«, ein Magazin des NRW-Forum Düsseldorf, Düsseldorf 2015, S. 13.
  2. Ebd.
  3. Ebd
  4. Vgl. Floridi, Luciano: »Die 4. Revolution – Wie die Infosphäre unser Leben verändert«, Berlin 2015, S. 36.
  5. Vgl. Ebd., S. 38 ff.
  6. Vgl. Ebd., S. 37.
  7. David, Sabria: »ALLES FLIESST – Konstanten einer liquiden Gesellschaft« in NEW FORUM »Alles, was das Internet schon immer über sie wissen wollte«, ein Magazin des NRW-Forum Düsseldorf, Düsseldorf 2015, S. 13.