Eigenschaften neuer Erzähl-Formate

Welche Eigenschaften sollten neue Erzähl-Formate – vor allem in Bezug auf eine »natürliche Art« der Erzählung – besitzen?

Die letzten Wochen habe ich mich auf das transmediale Erzählen fokussiert. Dabei stieß ich auch auf das »trimediale Erzählen«, das sich auf drei Medien beschränkt. Insgesamt stellt sich mir jedoch in beiden Fällen die Frage, ob drei, vier, fünf oder mehr Medien wirklich besser erzählen können, als ein oder zwei Medien. Es ist durch den Einsatz vieler Medien zwar die Möglichkeit da, ganze Universen zu schaffen. Doch erscheint mir der Einsatz mehrerer Medien manchmal als Selbstzweck, um »mehr Medien« genutzt zu haben. Sinnvoll erscheint es mir, wenn sich die Erzählungen in den Medien gegenseitig unterstützen und gut verwoben werden. Werden sie jedoch in anderen Medien »weiter erzählt« – so dass der Zwang eines Medienwechsels vorherrscht, um die Erzählung nachvollziehen zu können – erschließt sich mir der Nutzen nicht.

Während mir das transmediale Erzählen zu Beginn als gute Möglichkeit erschien, Geschichten zu erzählen, die ganz andere Welten öffnen oder Interaktivität einschließen, möchte ich nun einen Schritt zurück gehen. Nicht um das transmediale Erzählen grundsätzlich auszuschließen, sondern um nochmal neu zu ordnen, welche Eigenschaften ich für mögliche neue Erzähl-Formate als wichtig empfinde. Dabei möchte ich – wie gehabt – zum einen den Blick auf technologische Möglichkeiten und die Eigenheiten einzelner Medien richten. Zum anderen soll die Mediennutzung weiterhin ein begleitender Faktor sein.

Wie in »Rückbesinnung auf eine natürliche Art der Erzählung« beschrieben, ist meine momentane Überlegung, dass ein Trend dahingehend stattfindet, dass Erzählungen wieder die »Natürlichkeit des menschlichen Erzählens« berücksichtigen. Im folgenden einige Eigenschaften, die neue Erzähl-Formate aus meiner Sicht erfüllen sollten. Außerdem einige Gedanken, die ich kurz fassen möchte, da jedes Thema für sich einen eigenen Kosmos darstellt.

Übersicht natürliche Art der Erzählung | Eigenschaften Erzählungen

Interaktion
Eine aus meiner Sicht immer wichtiger werdende – und ohnehin schon oft genutzte – Komponente ist die Interaktion. Die Nutzer können Einfluss auf den Erzähl-Verlauf nehmen und obwohl die verschiedenen Stränge vordefiniert sind, wird man Teil der Erzählung. Es entsteht das Gefühl, dass die Geschichte zur »eigenen« und man selbst Teil der Erzählung wird. Wie im Fall von »About:Kate« ist – neben dem Einbringen von user-generated content – auch eine Interaktion mit den Protagonisten über Soziale Netzwerke möglich.

Soziale Komponente
Durch den Buchdruck wird die Kommunikation einseitig, da der Dialog fehlt. Ähnlich steht es mit dem Radio oder dem TV, welche beide Medien sind, die nur von einer Richtung her zielen. Durch das World Wide Web ist bereits ein Schritt zurück (oder vorwärts) zum Dialog getan. Mit anderen neuer Technologie könnte ein noch größerer Dialog oder eine noch größere Interaktion – nicht nur zwischen Mensch und Maschine – stattfinden.
Des Weiteren werden Erzählungen heutzutage häufig lediglich konsumiert. Bei all den Filmforen oder Filmtipps über soziale Netzwerke oder persönlicher Natur, möchte ich nicht behaupten, dass generell kein Diskurs stattfindet. Jedoch fehlt zunehmend das gemeinschaftliche Erlebnis, unterstützt durch Angebote wie Netflix oder der generellen Möglichkeit zu Hause, alleine, sämtliche Serien und Filme konsumieren zu können. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, dennoch ist der gemeinschaftliche Gang ins Kino deutlich gemeinschaftlicher. Insgesamt stellt sich mich hier die Frage, ob es eine Möglichkeit gibt überhaupt eine starke soziale Komponente ohne einen gemeinsamen physischen Raum zu erschaffen.

Dynamik
Erst die Schrift machte Erzählungen zu etwas statisch festgeschriebenem. Heute können Erzählungen wieder dynamisch werden. Zum einen kann der Inhalt weiter entwickelt werden (z. B. durch user-generated content). Zum anderen finde ich eine Anpassung unter Berücksichtigung zuvor festgelegter Daten wie beispielsweise Ort, Zeit oder Wetter denkbar. Letzteres erinnert dabei jedoch stark an die generative Gestaltung, weshalb ich diesen Ansatz noch sehr fragwürdig finde. Daten bzw. Information bewohnen laut Han »die geglättete Zeit aus indifferenten Gegenwartspunkten«1. Erzählungen sind jedoch keine bloßen Abfolgen unzusammenhängender Punkte, sondern bestehen und leben von der geschickten Verflechtung einzelner Elemente, die eine zeitliche Struktur von Dauer hervorbringen. Einer Narration. Um diese Elemente auch in dynamischen, interaktiven Erzählungen sinnvoll zu vereinen, benötigt es ein gut durchdachtes Patchwork der einzelnen Bestandteile.

Einfacher Zugang, wenige/transparente Schnittstellen
Ein einfacher Zugang gilt generell für alle Erzählungen, unabhängig der Medien. Dennoch werden durch neue Technologien, wie z. B. Oculus Rifts, Zugänge erstmals erschwert. Insgesamt werden Schnittstellen jedoch transparenter und Technologien wie VR-Brillen sind deutlich flexibler als stationäre Rechner oder Fernseher. Zwar sind sie momentan noch kein weit verbreitetes Produkt, da sie zum einen nicht sehr erschwinglich sind und zum anderen wenige Angebote da sind, die die Allgemeinheit zum Kauf einer teuren Brille überzeugt. Klar ist aus meiner Sicht aber, dass sie sowie auch Eye-Tracking-Geräte und ähnliche Technologien in naher Zukunft Einzug ins deutsche Wohnzimmer finden werden. Spannend wird das auch für das interaktive Storytelling. Wenn Geräte, die auf beispielsweise Bewegung, Gestik oder Sprache reagieren, zum Standard werden, eröffnet sich eine völlig neue Welt des Erzählens, die die Interaktion erneut auf völlig neues Level stellen wird. Es wird für mich vor allem an dieser Stelle der Trend zur natürlichen Art der Erzählung deutlich. Eine Steuerung ohne Endgerät in der Hand, kann eine Erzählung zum Erlebnis werden, man kann Teil von ihr werden.

Hohe Immersion
Der Drang eine hohe Immersion zu erzielen ist nicht neu. Durch die vorangegangenen Punkte, wird sie jedoch deutlich erhöht und auch hier wird ein völlig neues Level erreicht werden. Schon heute ist die Immersion bei VR-Brillen immens hoch – man ist überrascht, wie schnell sich das Gehirn austricksen lässt und wie echt sich virtuelle Realität anfühlen kann.

Quellen
  1. Han, Byung-Chul: »Die Errettung des Schönen«, Frankfurt am Main 2015, 3. Auflage, S. 19.

Rückbesinnung auf eine natürliche Art der Erzählung

Passen sich Erzählungen wieder der Natürlichkeit des menschlichen Erzählens an?

Meine momentane Überlegung ist, ob ein Trend zu erkennen ist oder die Möglichkeit besteht, dass Erzählungen künftig vermehrt unter Berücksichtigung der Natürlichkeit des menschlichen Erzählens als soziales Erlebnis konzipiert werden.

Der Informationsphilosoph Floridi beschreibt beispielsweise, dass »Schnittstellen zunehmend weniger sichtbar werden«1. Aus meiner Sicht könnte das ein Ansatz dafür sein, dass man schon aus technischer Sicht »natürlicher« erzählen können wird. Wenn Schnittstellen unbemerkt bleiben und der Rezipient »Eins« mit der Erzählung ist, kann eine größere Immersion erzielt werden. Sprich, es kann dadurch eine größere Auflösung der Grenze zwischen Realität und Fiktion stattfinden.

Nach meinem Empfinden ist auch die Interaktion innerhalb einer Erzählung natürlicher, als die statische Festschreibung innerhalb von Büchern, Filmen oder Theaterstücken. So ist die Möglichkeit auf Rückfragen – also Interaktion – auch bei Alltagserzählungen gegeben. Diese Ansätze möchte ich gerne im Forschungsverlauf berücksichtigen und weiter verfolgen.

Quellen
  1. Floridi, Luciano: »Die 4. Revolution – Wie die Infosphäre unser Leben verändert«, Berlin 2015, S. 67.

Von der Kultur, die statisch wurde

Mit dem Buchdruck wurde die Kultur laut Sabria David statisch. Digitale Medien führen zu einer Verflüssigung der Gesellschaft. Welche Erkenntnis kann aus ihrem Essay im Magazin »New Forum« für das Erzählen gezogen werden? Welchen generellen Schluss kann man daraus für das Erzählen der Zukunft ziehen?

»New Forum« ist ein Magazin des NRW-Forum Düsseldorfs, das erstmals zur Ausstellung »Ego Update«, die vom 19.9.2015–17.1.2016 stattfindet, erscheint. Sabria David beschreibt dabei in ihrem Essay »ALLES FLIESST – Konstanten einer liquiden Gesellschaft« wie »Digitale Medien […] derzeit die Dinge in Bewegung bringen«1.

Erzählungen gibt es im Grunde schon immer. Während sie vor der Erfindung der Schrift einen dynamischen Prozess einer gewissen Veränderbarkeit durchliefen, wurde unsere Kultur – so Sabria David –durch den Buchdruck »statisch« und vor allem »zeit- und ortsunabhängig«. Zuvor war sie noch »offen« und »beweglich« und »hatte flexible Strukturen«.2
Des Weiteren erläutert sie, dass Wissen, das nicht von »Generation zu Generation weiterzählt« wird ausstirbt, da es nicht »materialisiert« ist.3

Hier sehe ich eine Parallele zur heutigen Zeit und dem darin vorherrschenden digitalen Gedächtnisverlust. Der Informationsphilosoph Luciano Floridi erläutert dies genauer in seinem Buch »Die 4. Revolution«. So kann dieser Gedächtnisverlust zum einen dadurch zu Stande kommen, dass alte Technologien nicht mehr nutzbar sind4 oder Daten von einer alten Technologie (z. B. Diskette) nicht in eine neue Technologie (z. B. CD) übernommen werden. Zusätzlich findet eine ständige Überspeicherung von z. B. Webseiten statt5, so dass Dokumente in einen Zustand der Geschichtslosigkeit geführt werden. Zum einen dadurch, dass Differenzen gelöscht werden, zum anderen, weil die Vergangenheit immer wieder neu geschrieben wird. Das digitale Gedächtnis scheint damit flüchtig wie die mündliche Kultur.6 Zwar ist Information nicht gleich Wissen, dennoch ist in diesen »Daten« aus meiner Sicht unheimlich viel Wissen verankert.

In Bezug auf Erzählungen ist meine Hauptessenz die, dass Geschichten nicht immer statisch waren. Das bedeutet für mich – wenn auch nicht als neue Erkenntnis –, dass im Gegensatz zu der »gehypten« non-linearen Erzählung, die lineare nicht die ursprüngliche Form der Erzählung war. Viel mehr sind es die angesprochenen dynamischen Prozesse der Veränderbarkeit, die wir auch aus eigenen Erzählungen kennen, da die Geschichte nicht immer gleich erzählt wird. Zwar ist in meinem Empfinden eine Alltagserzählung von Erzählungen zu unterscheiden, die von Autoren als Erzählung aufgebaut werden. Dennoch finde ich diesen Gedanken im Bezug auf heutige Erzählungen, in denen der Rezipient teilweise Teil der Geschichte wird, sehr spannend.
Den Bezug zu Floridi stelle ich deshalb her, da Sabria David beschreibt, dass sich die Gesellschaft gewissermaßen verflüssigt und der »Weg für eine Reorganisation frei« ist, »für die Herausbildung neuer, angemessener Strukturen und für neue Kulturtechniken«.7 Ich glaube, dass in dieser liquiden Gesellschaft nicht nur eine Reorganisation stattfindet, sondern, dass sich die Strukturen generell fortwährend flexibel ändern, Dinge sich verknüpfen, entknüpfen und neuverknüpfen. Im Bezug auf Floridi, zumindest im weitesten Sinne, könnte dies bedeuten, dass auch hier eine Art Geschichtslosigkeit, eine ständige Neuverknüpfung der Strukturen ohne ein Vorher und Nachher stattfinden kann. Das wäre auch ein interessanter Anhaltspunkt für das Erzählen von Geschichten, die sich ständig weiterentwickeln, neuverknüpfen und grundsätzlich kein Ende finden. Kein Haupt-, Mittel- und Schlussteil, keine Beschränkung auf bestimmte Medien, sondern ein wachsendes Patchwork. Eine sich immer fortwährend verändernde Erzählung. Eine neverending story. Dabei bleibt nur noch die Frage offen, ob hier nicht die Grundsätze der Erzählung in Frage gestellt werden.

Quellen
  1. David, Sabria: »ALLES FLIESST – Konstanten einer liquiden Gesellschaft« in: NEW FORUM »Alles, was das Internet schon immer über sie wissen wollte«, ein Magazin des NRW-Forum Düsseldorf, Düsseldorf 2015, S. 13.
  2. Ebd.
  3. Ebd
  4. Vgl. Floridi, Luciano: »Die 4. Revolution – Wie die Infosphäre unser Leben verändert«, Berlin 2015, S. 36.
  5. Vgl. Ebd., S. 38 ff.
  6. Vgl. Ebd., S. 37.
  7. David, Sabria: »ALLES FLIESST – Konstanten einer liquiden Gesellschaft« in NEW FORUM »Alles, was das Internet schon immer über sie wissen wollte«, ein Magazin des NRW-Forum Düsseldorf, Düsseldorf 2015, S. 13.