Olia Lialinas »My boyfriend came back from the war!«

»My boyfriend came back from the war!« ist ein Internetprojekt der Netzkünstlerin Olia Lialina, das 2016 bereits 20 Jahre alt wird. Die interaktive Hypertext-Erzählung besteht aus einem Gespräch zwischen einem Paar dessen Gesprächsfragmente Klick für Klick »aufgedeckt« werden und deren Beziehung gleichzeitig Stück für Stück zerbröckelt.
Die Fragmente können dabei visuell keinem der beiden konkret zugeordnet werden. Begleitet wird die Textebene von schwarz-weißen gifs, die dem Rezipienten als Anhaltspunkt dienen. So bringt beispielsweise eine Abfolge von Uhren mit verschiedenen Uhrzeiten eine zeitliche Ebene in die Narration.

Nach einem schwarzen Einstiegs-Bildschirm mit dem weißen Satz »My bofriend came back from the war. After dinner they left us alone.«, gelangt man auf eine Seite, die zwei Bilder zeigt: Ein sitzendes, voneinander abgewandtes Paar, sowie ein Fenster. Über Hyperlinks innerhalb der Texte und Bilder taucht man tiefer in die Geschichte ein, die verschiedene emotionale Ebenen durchläuft, so z. B.: »CAN anybody kill you?«, »I keep your photo here«, »you don’t trust me, I see« oder »FORGIVE ME«. Jeder Klick auf einen Hyperlink zerteilt den Bildschirm in immer kleinere Frames. Frames wurden vorwiegend in den 90er-Jahren für die Unterteilung einzelner Bereiche im Browser verwendet. Ist der Erzählstrang innerhalb eines Frames vorbei, ist keine Teilung mehr möglich. Übrig bleiben – neben den zwei Einstiegsbildern – schwarze Frames, die den gesamten Browser in einzelne Bruchstücke aufteilen. Eine schwarze, zerbröckelte Leere, die auf einen bestehenden Konflikt ohne weitere Lösung hinweist. 

Das Projekt wird an verschiedenen Stellen im Web inhaltlich genauer betrachtet. Ich möchte mich im Weiteren auf die für meine Arbeit relevanten Essenzen konzentrieren. Die Art der Erzählung kann als web fiction kategorisiert werden, wird aber häufig auch als »netfilm«1 bezeichnet. In einem Artists Statement beschreibt Olia Lialina, dass Filme im Internet eher als Information (Biografien, Stills, …), maximal als .avi existieren. Dabei sei Hypertext der beste Weg, Geschichten zu erzählen, vor allem da das Web – durch die Frames – dem Film näher ist als das Video.2

Diese Art ihrer Erzählung finde ich besonders spannend, da sie zum einen verschiedene Eigenschaften besitzt, die auch für heutige Erzählungen von Bedeutung sind. So z. B. non-lineare Erzählstrukturen und allem voran die Interaktivität mit dem Rezipienten. Zum anderen, weil Olia Lialina das Web nicht nur als abbildendes Medium nutzt, sondern mit ihm selbst sowie mit der dafür charakteristischen Technologie arbeitet. Das Medium nicht nur als charakterloses Trägermaterial, sondern seine technischen Vor- und (manchmal charmanten) Nachteile zu nutzen, ist aus meinem Empfinden auch für aktuelle Erzählweisen essentiell und übertragbar.

In einem Interview mit Tilmann Baumgärtel, beschreibt Olia Lialina ihre Bestrebung danach wie man »Film und filmisches Denken im Netz anders darstellen kann«3 und eine – ähnlich wie im Experimentalfilm – neue Sprache zu finden. Des Weiteren habe sie verstanden, dass das Projekt »von der Interaktion im Internet handelt: daß man miteinander kommuniziert, ohne sich zu sehen und ohne zu wissen, wer da spricht. Und daß sowieso niemand antwortet«4.
Zwar geht es der Netzkünstlerin nicht um die Technologie an sich, sondern um Liebe und Einsamkeit.5 Dennoch ist der Aspekt der Interaktion im Internet besonders spannend für mich. Auch wenn im Internet zwischenzeitlich Menschen antworten können oder auch wenn oft nur suggeriert wird, dass jemand direkt antwortet, gibt es bestimmte Eigenheiten des Mediums, die man sich bewusst zu Nutze machen kann. Mit ihnen experimentieren, sie erforschen kann. Vor allem aber zeigt, das »Verständnis« dafür, dass es sich um ein Web-Projekt mit Interaktion handelt, wie wichtig die Stellung der Rezipienten ist. Eine gewisse Interaktion zwischen Medium und Rezipient findet zwar nicht nur im Internet statt, dennoch ist diese Interaktion oder Reaktion für ein Projekt dieser Art bedeutend. Zum einen können natürlich verschiedene Werke auf Menschen unterschiedlich wirken und dadurch gewissermaßen auf einer Bedeutungsebene interpretiert und verändert werden. Zum anderen stellt sich gerade in interaktiven Projekten besonders die Frage nach möglichen – eventuell ungeplanten – Handlungen des Rezipienten. Wie reagiert er tatsächlich? Wie interagiert er? Welche Mechanismen sind wichtig, um eine Interaktion hervorzurufen? Die Frageliste wäre endlos.

Abschließend bleibt zu sagen, dass »My boyfriend came back from the war!« aus meiner Sicht absolut berechtigt ein Klassiker der Netzkunst ist. In Olia Lialinas Arbeiten finde ich generell die häufige Bezugnahme auf die aktuelle (Netz-)Kultur sehr interessant. Daher möchte ich in einem kommenden Schritt weitere Projekte von ihr mit einbeziehen sowie zusätzliche Recherchen zu früheren und aktuellen Erzählweisen anstellen.

Quellen
  1. Lialina, Olia: »Artists Statement«, URL: http://www.heise.de/tp/magazin/nk/3040/1.html, abgerufen am 10.10.2015.
  2. Vgl. Ebd.
  3. Baumgärtel, Tilmann: »Auf russisch habe ich solche Gefühle nicht – Interview mit Olia Lialina«, Stand: 25.11.1997 ,URL: http://www.heise.de/tp/artikel/6/6146/1.html, abgerufen am 10.10.2015.
  4. Ebd.
  5. Vgl. Ebd.