Struktureller Aufbau des Webs und die Koexistenz von Mensch und Maschine

Roboter übernimmt musische Aufgabe und spielt ein Instrument

Nach meiner ersten Auseinandersetzung mit Tim Berners-Lees Buch (Die Vision eines Visionärs »), möchte ich im folgenden weiteren Gedanken nachgehen. Dabei geht es unter anderem um den Aufbau des Webs, welchen ich vor allem strukturell näher betrachten möchte. Zudem finde ich den Ansatz eines universellen Informationsraums, in dem Mensch und Maschine harmonisch koexistieren sehr faszinierend.

Hypertext als non-lineare Grundlage

Während das Internet grundsätzlich nur das infrastrukturelle Fundament für das World Wide Web bildet, basiert die Kernidee des World Wide Webs auf Hypertext. Laut Berners-Lee war seine Aufgabe lediglich beides zu »verheiraten«.1 Nachdem es zuvor schon ähnliche Konzepte gab, wurde der Begriff Hypertext im Jahr 1965 von Ted Nelson geprägt. Zum einen schrieb Ted Nelson von »Literarischen Maschinen«: Von Computern, die dem Menschen ermöglichen sollen, Informationen niederzuschreiben und zu publizieren.2 Zum anderen ist an dieser Stelle wichtig zu wissen, dass es sich bei Hypertext um einen dynamischen Text handelt, dessen einzelne Bestandteile durch Querverweise vernetzt sind. Dieser enzyklopädische Ansatz ist fundamental für die Entwicklung des World Wide Webs und sein non-lineares Format.

Auf Grundlage dieser Struktur, entwickelt Tim Berners-Lee den Vorläufer des World Wide Webs »Enquire«, das auf Knoten (Nodes) basiert, die – der Reihe nach – miteinander verlinkt sind. Er vergleicht das Software-Projekt mit dem menschlichen Gehirn, welches gleichermaßen netzartig funktioniert und zufällige Assoziationen zulässt.3 Dabei sind die Verbindungsmöglichkeiten unbegrenzt und zuvor nicht berücksichtigte Verbindungen können sichtbar werden.4 Diese Unbeschränktheit ist eine Voraussetzung dafür, dass das Web als universelle Resource dienen kann.5

Hyperspace

Laut Tim Berners-Lee ist das Web kein physisches »Ding«, sondern ein Raum in dem Informationen existieren können.6 An späterer Stelle nennt er diese Hypertext-Umgebung »Hyperspace«.7 Es war essenziell, dass Berners-Lee etwas schafft, das keine komplette Umstrukturierung der vorherigen Arbeit sowie Umformatierung sämtlicher Daten verlangt. Ihm war wichtig ein System zu kreieren, welches für jeden akzeptabel ist und mit so wenig wie möglich Regeln bzw. Beschränkungen auskommt.8 Denn nur dann, wenn Menschen selbst in der Lage sind Informationen einzuspeisen und Informationen zu verbinden,9 kann dieser universelle Informationsraum entstehen. Und nur was in diesem Informationsraum besteht, ist von informationellem Wert. Das »World Wide Web Consortium« selbst handelt dabei nach der Maxime, dass alles, was nicht in diesem Hyperspace – im Web – vorhanden ist, nicht exitierst.10

Das erinnert mich zum einen an Luciano Floridis Blick auf die Infosphäre (Zwischen Realität und Fiktion »), welche jedoch auch Menschen als informationelle Wesen mit in diese Sphäre aufnimmt. Zum anderen an Felix Stalders Betrachtung des raumzeitlichen Horizonts (Neuer Raum – neue Zeit: Neu denken »). Stalder beschreibt dabei, dass alles, was nicht »hier« ist, unerreichbar und alles, was nicht »jetzt« ist, verschwunden ist.
Zudem sehe ich in Bezug auf die netzartige Struktur einen Zusammenhang zu Marshall McLuhan, welcher von der Auflösung von Raum und Zeit spricht, sowie die Veränderung unserer westlich geprägten, sequentiellen Denkweise voraussagt (Das globale Dorf – Raum, Zeit und Dynamik »). Hier sehe ich vor allem das World Wide Web als einschneidendes Medium, welches als non-lineares Format unsere Gewohnheiten grundsätzlich verändert. Hier fände ich spannend, inwiefern nachfolgende Generationen non-linear geprägt werden. Meine Generation (Jahrgang 1986) ist noch sehr sequentiell aufgewachsen und in das Medium Web reingewachsen. Zudem halte ich unsere aktuelle Lebenswelt noch immer für sehr linear ausgelegt.

Human-Computer-Interaction und die Verschmelzung zu einem großen Informatiosnraum

Um das World Wide Web nicht nur als Medium zu sehen, in das man »einsteigen« kann, ist die Zugänglichkeit enorm wichtig. Für Berners-Lee war der Zugang noch sehr umständlich und so hatte er schon damals Ideen, welche für uns heute eine Selbstverständlichkeit sind. Mehrere Minuten warten bis der Computer hochgefahren ist, um sich dann über die Telefonleitung ins Netz einzuwählen, nahm einfach viel zu viel Zeit in Anspruch. Er träumte davon, dass Computerbildschirme immer erreichbar sind, wenn man sie benötigt und hatte die Idee von sofortiger und ständiger Verfügbarkeit.11 Er hat bereits damals die Vorstellung, dass der Computer ein ständiger Begleiter und gutes Werkzeug darstellt, um aufkommende Ideen sofort festzuhalten und sie nicht zu verlieren.12 Zwar gibt es noch immer Leute, die weder Smartphone noch Daten-Flat besitzen, doch im Großen und Ganzen ist genau dieser Fall eingetreten. Das Smartphone ist als kleiner Pocket-Computer ständiger Begleiter vieler, die an den meisten Orten auch durchgehend online sind. Das ist auch die Onlife-Erfahrung von der Floridi spricht (Von Loops und der Hyper-Realität »): Die Unterscheidung von on- und offline wird es zukünftig kaum noch geben.

Eine weitere Selbstverständlichkeit ist, dass Technologie heute zunehmend transparenter wird. Das sieht Berners-Lee als Voraussetzung für den intuitiven Umgang mit ihr. Er denkt diese Transparenz jedoch noch weiter: Computer und Netzwerke sollten seiner Ansicht nach völlig aus dem Weg gehen, da es letztendlich unwichtig ist, wo Information gespeichert wird. Die Daten und die Werkzeuge, um auf sie zuzugreifen sollten unabhängig voneinander sein – er nennt das das Konzept der Ortsunabhängigkeit. Ob Hypertext oder lokaler Ordner – beides sind für ihn gleichermaßen Informationen. Er ist auch der Meinung, dass Dateinamen verschwinden müssen und jede Datei eine andere Art von URL erhalten sollte.
Weiter kann er sich vorstellen, dass URLs komplett verschwinden und man nur noch Hyperlinks sieht.13

Diesen Ansatz halte ich für spannend sowie in seiner Argumentation richtig. Eine Vorstellung davon wie das aussehen könnte, habe ich jedoch nicht. Hierfür müsste sich die komplette Ordnerstruktur auflösen, an der wir in unserer analogen Denkweise festhalten. Grundsätzlich wäre dieser Ansatz genau der richtige, um Daten nicht selbst vorzusortieren, sondern diese Arbeit den »Verbindungen« und einer anderen Art der Kategorisierung zu überlassen. Jedoch stelle ich mir die Sortierung insofern schwierig vor, dass beispielsweise bei der grafischen Arbeit auf lokale Daten zugegriffen werden muss. Zum einen werden dabei nicht alle möglichen Suchergebnisse über dieses Thema oder den Kunden benötigt, zum anderen ist hier eine zeitliche Abfolge in der Dateistruktur sehr wichtig. Zudem kann ich mir vorstellen, dass sich die grafische Nutzeroberfläche, die sehr intuitiv angelegt ist, dadurch grundlegend ändert.

Der Begründer des World Wide Webs sah das Web selbst noch nicht als universellen Informationsraum an. Daten sind auf verschiedenste Art und Weise getrennt voneinander gespeichert und oft nicht in Beziehung gesetzt. Hier kommt das semantische Web ins Spiel, welches auch als Web 3.0 bezeichnet wird. Dabei geht es darum, maschinenlesbare Formate zu nutzen, um den Algorithmen zu ermöglichen, nicht nur stichwortartige, sondern auch kontextuale Zusammenhänge erschließen zu können. Als grundlegenden Baustein nennt er RDF, das Resource Description Framework, das auf XML basiert und logische Aussagen über Dinge trifft. Er nennt das Beispiel, dass durch logische Schlussfolgerungen maschinell erkannt werden kann, dass »Mittlere Tagestemperatur« dasselbe wie »Tagesdurchschnittstemperatur« bedeutet. Das Marktforschungsunternehmen Gartner vermutet in einer Präsentation aus dem Jahr 2007, dass 2017 die meisten Webseiten mit einer Form von semantischem Hypertext ausgestattet sind.14 Inwieweit das semantische Web tatsächlich da ist, kann ich momentan aber weder beurteilen noch sicher herausfinden.

Das semantische Web wird uns dabei helfen, die unzähligen Informationen aus dem World Wide Web zu filtern – ohne maschinelle Hilfe wäre das für uns Menschen zwischenzeitlich unmöglich. Tim Berners-Lee ist davon überzeugt, dass der Computer uns bei der Lösung großer analytischer Probleme helfen wird und hält es für wichtig, dass das Web den Menschen dabei unterstützt, sowohl intuitiv als auch analytisch zu sein. Unsere Gesellschaft benötigt beide Funktionen.15
Zudem ist er sich sicher, dass die Menschheit durch die Zusammenarbeit mit Maschinen nur profitieren kann. Er nennt das World Wide Web als Ort, wo Mensch und Maschine in einer idealen, kraftvollen Mischung koexistieren werden.16
Diese Ansicht teil auch Michael Dertouzos in seinem Vorwort. Er glaubt entgegen vieler Menschen, die davon überzeugt sind, dass Technologie uns entmenschlicht, dass sie ein untrennbares Kind der Menschheit ist. Mensch und Maschine müssen für echten Fortschritt Hand in Hand gehen, ohne dass einer als Diener des anderen handelt.17
Mit dieser Thematik habe ich mich bereits in »Die 4. Revolution« befasst und auch ich bin überzeugt davon, dass wir mit der richtigen Nutzung der jeweils stärkeren Potenztiale eine völlig neue Entwicklungsstufe erreichen und eine wunderbare Koexistenz von Mensch und Maschine führen können.

Quellen
  1. Vgl. Berners-Lee, Tim; Fischetti, Mark (Hg.): »Weaving the Web – The Original Design and Ultimate Destiny of the World Wide Web«, New York 2000, S. 6.
  2. Vgl. Ebd., S. 5.
  3. Vgl. Ebd., S. 10.
  4. Vgl. Ebd., S. 3.
  5. Vgl. Ebd., S. 99.
  6. Vgl. Ebd., S. 36.
  7. Vgl. Ebd., S. 206.
  8. Vgl. Ebd., S. 15.
  9. Vgl. Ebd., S. 201.
  10. Vgl. Ebd., S. 163.
  11. Vgl. Ebd., S. 158 f.
  12. Vgl. Ebd., S. 159 f.
  13. Vgl. Ebd.
  14. Vgl. Gartner Report: »Finding and Exploiting Value in Semantic Web Technologies on the Web« 2007, in: Herman, Ivan: »What is being done today?«, Stand: 14.12.2009, URL: https://www.w3.org/2009/Talks/1214-Darmstadt-IH/Applications.pdf, S. 3, abgerufen am 18.2.2017.
  15. Vgl. Berners-Lee, Tim; Fischetti, Mark (Hg.): »Weaving the Web – The Original Design and Ultimate Destiny of the World Wide Web«, New York 2000, S. 201.
  16. Vgl. Ebd., S. 158.
  17. Vgl. Ebd., S. IX.