»Digital Folklore – To computer users, with love and respect« von Olia Lialina und Dragan Espenschied beschäftigt sich so wie die gesamte Arbeit der Medien- bzw. Netzkünstler mit der Webkultur der 90er Jahre.
Mit ihrer Arbeit »One Terabyte of Kilobyte Age« archivieren und analysieren sie Geocities-Webseiten, die kurz vor der Schließung des Webseiten-Dienstes, gesichert werden konnten. Auch in ihrem Buch weisen sie erneut darauf hin, dass unsere Inhalte auf MySpace, Facebook und Co. eines Tages gelöscht und vergessen werden könnten.1
Auch Luciano Floridi (Von der Kultur, die statisch wurde ») sieht das als problematisch an. Er spricht dabei vom digitalen Gedächtnisverlust, der z. B. durch veraltete Technologien zu Stande kommt, da diese nicht mehr nutzbar sind (z. B. Diskette) oder die Inhalte nicht von einer alten Technologie in eine neue übertragen werden (z. B. von der Diskette auf CD).2 Durch die Überspeicherung von Webseiten werden Dokumente in einen Zustand der Geschichtslosigkeit geführt und damit flüchtig wie die mündliche Kultur.3
Die Arbeit der zwei Künstler findet primär im Bereich Web statt und sie greifen vergangene Trends sowie die Aufbruchstimmung zu Beginn des Webs auf. Hier wird mir erneut bewusst, wie viel kulturelle Eigenheiten und Phasen durch die Löschung von Daten verloren geht. Schon jetzt ist es schwierig, die 90er Jahre im Web zu »finden«. Zwar ist es insgesamt noch ein leichtes, da viele der jetzigen Nutzer schon damals online waren und die Ästhetik und Stimmung des damaligen Web 1.0 kennen. Zudem gibt es schon erste Retrotrends, die die 90er imitieren. Dennoch werden die Webseiten dieses Jahrzehnts – bis auf die, die bewusst gespeichert werden – in naher Zukunft sicherlich verschwunden sein.
Unabhängig davon, ob es erste Firmenwebseiten oder Seiten für das eigene Haustier sind: Wie ist es möglich, die Daten und damit ein Teil der Kultur und Geschichte zu konservieren? Gibt es Parallelen zu Büchern, welche sicher auch nicht vollständig die Zeit überdauert haben? Und wie wichtig ist es überhaupt, dass möglichst alles noch in 20 Jahren auffindbar ist? Wie vermessen wäre es denn, das alles nicht zu speichern, wenn wir doch generell die Möglichkeit haben vieles zu speichern?
Ich denke, dass es in den nächsten Jahren enorm wichtig sein wird, auf diese Fragen eine Antwort und eine gute Lösung zu finden. Vielleicht ist es schon ein Anfang, wenn wir zumindest mit unseren eigenen Daten sorgfältiger umgehen.
Abschließend noch ein Hoffnungsschimmer: Zumindest mit der waybackmachine kann man sich 498 Milliarden Webseiten ansehen, viele von ihnen reichen bis in die 90er Jahre.
Quellen
- Vgl. Lialina, Olia; Espenschied Dragan: »Digital Folklore«, Stuttgart 2009, S.8.
- Vgl. Floridi, Luciano: »Die 4. Revolution – Wie die Infosphäre unser Leben verändert«, Berlin 2015, S. 36.
- Vgl. Ebd., S. 37.