Neuer Raum – neue Zeit: Neu denken

Neuer Raum – Neue Zeit: Neu denken

In meinem Beitrag »Das globale Dorf – Raum, Zeit und Dynamik« ging es im Zusammenhang mit Marshall McLuhan bereits um die Auflösung von Raum und Zeit. Dort gehe ich schon im Detail auf seine Ausführungen ein.

Nach wie vor fällt es mir schwer, die im orientalischen und asiatischen Raum vorherrschende Denkweise nachzuvollziehen. Während ich als abendländischer und sequentiell denkender Mensch, Information strukturell einordne, führt die Prägung durch die rechte Gehirnhälfte dazu, dass dort Geschehnisse und Prozesse in gleichzeitige Beziehung gesetzt werden.

Zwar war mir durch McLuhan damals schon klar, dass Information unabhängig von Raum und Zeit transportiert werden kann und sich dadurch beide auflösen. Das Buch »Kultur der Digitalität« von Felix Stalder lässt mich jedoch erst jetzt verstehen, inwiefern sich die abendländische Denkweise an die asiatische anpassen wird und was die Auflösung von Zeit und Raum bedeuten kann.

Wörtlich schreibt Felix Stadler folgendes: »Der raumzeitliche Horizont der digitalen Kommunikation ist eine globale, das heißt ortlose Dauergegenwart. Die technische Vision der digitalen Kommunikation ist immer das Hier und Jetzt. Bei verzögerungsloser Informationsübertragung ist alles, was nicht ›hier‹ ist, unerreichbar und alles, was nicht ›jetzt‹ ist, verschwunden«1. Des Weiteren beschreibt er, dass versucht wird eine »endlose globale Gegenwart« herzustellen.2

Diesen Absatz finde ich in zweierlei Hinsicht sehr spannend. Zum einen macht es mir wie bereits erwähnt verständlicher, was die Auflösung von Zeit und Raum bedeuten kann: Zeitliche und räumliche Grenzen werden binnen Millisekunden überwunden, was unserer gewohnten Welt und Physis widerspricht. Zwar bewegen wir uns immer schneller fort, doch die Vision des Beamens, spricht einer ähnlich schnellen Überwindung von Zeit und Raum innerhalb von Millisekunden, bleibt bisher nur eine große Sci-Fi-Utopie.
Zum anderen besteht das Internet aus dem Hier und Jetzt. Neben Stalders genannten Punkten bedeutet das: Vergangene Inhalte spiegeln zwar bedingt eine zeitliche Abfolge wider, aber durch den digitalen Gedächtnisverlust – mit dem ich mich näher in »Die Hypergeschichte« auseinandersetze – bedeutet das nicht zwingend, dass das Internet eine geschichtliche Abfolge anzeigt. Im Gegenteil: Durch Datenverlust (sei es durch Löschung oder Nichtüberführung in neue Technologien), Überspeicherung und Veränderung tritt ein Zustand der Geschichtslosigkeit sowie eine immer währende Gegenwart ein. Im Gegensatz zu meiner damaligen Vermutung bin ich nun überzeugt davon, dass nachfolgende Generationen durchaus eine gewisse geschichtliche Abfolge nachvollziehen können. Damit große Ereignisse und allgemeine Errungenschaften einfach so verloren gehen, müsste sehr viel passieren. Für viel problematischer halte ich es jedoch zwischenzeitlich für Inhalte, die nicht von allgemeiner Wichtigkeit sind. Unabhängig von Content-Art, sei es Firmen-Website, Portfolio oder soziales Netzwerk sehe ich riesige Verluste, wenn diese gelöscht werden. Für uns ist es heute eine einfache Überarbeitung der Website, da man die alte nicht mehr für zeitgemäß oder schön hält. Für die Zukunft bedeutet das ein fehlendes Teil Geschichte. Wenn man bedenkt, dass für die heutige historische Forschung jede Banalität wie z. B. Essbesteck von großer Bedeutung ist, um frühere Zustände zu rekonstruieren, ist dieser Gedanke nicht zu unterschätzen und meiner Meinung nach sogar extrem wichtig.

Abschließend möchte ich noch auf die Bibliothek Europeana zu sprechen kommen, die mir bereits bekannt war und von Stalder kurz angerissen wird. Er führt aus, dass in dem Archiv Schätzungen zu Folge vierzig Millionen Objekte vorhanden sind und insgesamt in den »europäischen Archiven und Museen mehr als 220 Millionen natur- und 260 kulturgeschichtliche Objekte«3 lagern. Zum einen hält er es für problematisch, dass es »schwer festzustellen ist, ob ein bestimmtes Werk, eine entscheidende Referenz fehlen, wenn an seiner oder ihrer Stelle eine Fülle anderer gefunden wird«4. Zum anderen merkt er an, dass sich einzelne Objekte aus ihrer übergeordneten Narration lösen, die das Museum oder Archiv hergestellt haben. Dadurch werden sie zum einen bedeutungsoffener und zudem besteht der einzige Zusammenhang zwischen Suchanfrage und die durch Suchalgorithmen gefundenen Ergebnisse.5
Ersteres hinterfragt die Vollständigkeit. Wird es gelingen alle Objekte digital zugänglich zu machen? Meine persönliche Meinung: Ja. Aus meiner Sicht ist es nur eine Frage der Zeit. Für Probleme, die es in diesem Zusammenhang gibt, z. B. rechtliche Hürden, wird es langfristig eine Lösung geben. Zudem sollte es ein Anliegen aller sein, kulturelle Objekte für alle zugänglich sowie konservierbar zu machen.
Dass sich die Objekte aus ihrer Narration lösen, halte ich für ein viel größeres Problem. Sicherlich kann man einzelne, nicht-virtuelle Gegebenheiten ins Digitale bringen, doch eine komplette Übertragung halte ich für fast unmöglich. So kann man beispielsweise bestimmten Werke auch im Digitalen ihren Platz in bestimmten Sammlungen geben, bei der Übertragung von Orten bin ich jedoch sehr kritisch. Ob ein Werk im Guggenheim-Museum in Bilbao oder im Pariser Louvre steht, macht manchmal durchaus einen Unterschied. Das einfach nur zu wissen, reicht aus meiner Sicht nicht aus. Daher wird es an dieser äußerst Stelle wichtig werden, nicht nur eine einfache Digitalisierung zu vollziehen, sondern eine tatsächliche Transformation. Die Orte Museum und Archiv müssen komplett neu gedacht werden.

Insgesamt hat mich Stalders Buch nicht begeistert, da es mir trotz vorgestellter Struktur teilweise als lose Sammlung sämtlicher digitaler Themen vorkam. Dennoch konnte ich zum einen Antworten auf Fragen finden und zum anderen hat es mich in vielerlei Hinsicht zu neuen Fragen inspiriert. Allein dafür hat sich das Buch zur Recherche definitiv gelohnt.

Quellen
  1. Stalder, Felix: »Kultur der Digitalität«, Berlin 2016, S. 147.
  2. Vgl. Ebd.
  3. Ebd., S. 107.
  4. Ebd., S. 112.
  5. Vgl. Ebd., Berlin 2016, S. 115.