In meinen vorherigen Beiträgen »Das globale Dorf – Raum, Zeit und Dynamik« sowie »Von der Kultur, die statisch wurde« setzte ich mich bereits mit der Tatsache auseinander, dass die Linearität das Denken in unserem Kulturkreis maßgeblich beeinflusst hat. Meine abschließende Erkenntnis war die, dass sich diese Linearität aufzulösen scheint und unsere Lebenswelt weniger festgezurrt und dynamischer wird.
Sicher wird die Zukunft unserer Kultur durchweg von Algorithmen bestimmt, die sehr wohl eindeutig sind. Jedoch wird das Denken des Menschen sehr viel flexibler sein und grundlegend verändert werden.
Vilém Flusser bringt in Bezug darauf beispielsweise vor, dass wir »nicht mehr Daten zu lernen haben, sondern das zweckmäßige Speichern, Abberufen und Variieren von Daten. Nicht mehr das Repertoire, sondern die Struktur von Systemen. Dieses Prozessieren von Daten, das bisher von der Notwendigkeit der Datenerwerbung gebremst war, heißt ›Kreativität‹, und es ist daher mit einer wahren Explosion der menschlichen Kreativität zu rechnen«1.
Dieser Ansatz Flussers ist vor 30 Jahren schätzungsweise revolutionär, heute im Jahr 2017 sind wir schon mitten im Umbruch. Die Denkweise in unserem Kulturkreis wird bereits auf das Verstehen von Strukturen getrimmt, während wir wissen, dass wir beispielsweise nichts mehr zwingend auswendig lernen müssen. Alles ist abrufbar, die Suchmaschine Google ist nur ein beispielhaftes Werkzeug hierfür. Man muss nicht mehr die Information selbst kennen, es genügt zu wissen, wie wir sie abrufen können. Diesen Ansatz habe ich bereits in diversen Beiträgen verfolgt und halte ihn nach wie vor für eine der grundlegendsten Veränderung unserer Zeit. Dieser Fortschritt der Technologie, unterstützt weiter die Aussage Flussers, dass jede Revolution technisch ist.2 Nicht irgendeine Ideologie, sondern die Technik veränderte unsere Lebenswelt und unser Denken in den letzten Jahrzehnten entscheidend.
Eine weitere maßgebliche Veränderung wird laut Flusser durch die Veränderung der Koden ausgelöst: »Die Veränderung wäre tiefgreifend, weil unser Denken, Fühlen, Wünschen und Handeln, ja sogar unser Wahrnehmen und Vorstellen, in hohem Grad von der Struktur jenes Codes geformt werden, in welchem wir die Welt und uns selbst erfahren. Wir sind ›westliche Menschen‹, weil unsere ›forma mentis‹ von der Linearität des alphanumerischen Codes ausgebildet wurde. Sollten unsere Kinder und Enkel die Welt und sich selbst mittels anders strukturierter Codes (etwa mittels technischer Bilder wie Fotos, Filme und Fernsehen, und mittels Digitalisation) erfahren, dann wären sie anders in der Welt als wir es sind, und als es unsere Vorfahren waren«3. Dieser Aussage möchte ich ein weiteres Zitat zur Auseinandersetzung hinzufügen: »Nun verfügen wir, seit Urzeiten, über einen Code, nämlich über die gesprochene Sprache, welcher diese Aufgabe leistet«4.
Koden dienen grundsätzlich der Kommunikation, aus meiner Sicht unabhängig davon, ob zwischen Menschen oder Menschen und Maschinen. In »Conversational User Interfaces« und »Natural User Interfaces – Die unsichtbaren Schnittstellen« sehe ich daher Ansätze, die seine Denkweise nicht nur bestätigen, sondern weit darüber hinaus gehen. Zudem werden Voice User Interfaces (VUI) immer populärer. Mit VUIs erhalten wir meiner Ansicht nach nicht nur eine zusätzliche Art der Mensch-Maschine-Kommunikation, sondern wir kommen zurück zum ursprünglichen Code – der gesprochenen Sprache.
Insgesamt drängt sich mir hier die Frage auf, wie zukünftige User Interfaces aussehen könnten, wenn sie denn überhaupt noch »aussehen«. Amazons Alexa oder Apples Siri sind nur zwei Beispiele für ein sprachgesteuertes Gerät bzw. sprachgesteuerten Assistenten. Während Siri auch visuell reagiert, existiert Alexa ausschließlich auf der auditiven Ebene. Unter dem Strich können Alexa und Siri alle Fragen gestellt werden.
Mein Problem damit ist momentan noch das, dass ich mir nicht vorstellen kann, wie eine Welt basierend auf Audio Interfaces aussehen könnte. Nach meinem Verständnis müsste man zumindest wissen, welche Informationen vorhanden sind, um die entsprechende Antwort zu erhalten. Ein reines Stöbern oder zufälliges auf Informationen stoßen wären damit ausgeschlossen. Daher stellt sich die nächste Frage, inwiefern Audio Interfaces tatsächlich andere Interfaces ersetzen und ob sie nur als zusätzliche Variante dienen könnten.
Quellen
- Röller, Nils; Wagnermaier, Silvia (Alle Hg.): »absolute Vilém Flusser«, Freiburg 2003, S. 171.
- Vgl. Ebd., S. 157.
- Ebd., S. 71.
- Ebd., S. 74.
Abbildungen
- Titelbild: Lecourt, Pierre: »Amazon Echo«, abgerufen am 7.11.2016, Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0.